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16.10.2023

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7 Min.

„Wir haben einen Schatz in Deutschland“

Text:

Vor 30 Jahren lag der Tageswasserverbrauch in Deutschland noch bei 400 Litern pro Person. Heute ist er auf 125 Liter gesunken. Sollte das nicht genug sein, um den Wasserhaushalt in Deutschland zu stabilisieren? fondsmagazin sprach über dieses Thema mit Juliane Thimet. Die Juristin ist Deutschlands Wasserfachfrau Nummer eins.

Frau Thimet, sind Sie eine Wasserlobbyistin?

Wir brauchen für jedes Thema Menschen, die ihres für das Wichtigste halten. Und Wasser ist das wichtigste Thema. Der Klimawandel hat die meisten Auswirkungen auf den Wasserhaushalt. Viel oder wenig Wasser verändert Wälder, schwemmt Böden ab, das Grundwasser sinkt. Als Lobbyistin lasse ich mich allerdings nicht gerne bezeichnen. Das sind Menschen, die mit Scheuklappen durchs Leben gehen und Einzelinteressen durchzusetzen versuchen. Wasser geht uns alle an, das ist nun mal unsere Lebensgrundlage. Es steht in unser aller Interesse, damit so sorgsam wie irgend möglich umzugehen. Deshalb muss ich auch die Anliegen der Landwirtschaft, der Wassernutzer – auch aus der Industrie und dem Handwerk – und nicht zuletzt die der Grundstückseigentümer verstehen.

Aber Wasser haben wir doch genug, wenn ich das mit anderen Ländern vergleiche …

… haben wir einen Schatz in Deutschland, und der nennt sich Grundwasser. Andere haben Öl, wir haben Wasser. Unser Grundwasser verschafft uns die Ausgangsposition, dass über 70 Prozent unseres Trinkwassers unmittelbar aus dem Grundwasser per Leitung in die Häuser fließen kann. Es kommt für im Schnitt 0,2 Cent pro Liter in bester Qualität aus dem Wasserhahn. Das ist eine komfortable Ausgangsposition. Diesen Schatz müssen wir hüten und wir müssen sparsam mit ihm umgehen.

Tun wir das denn?

Nein. Der Grundwasserspiegel ist in den letzten 20 Jahren bereits um 20 Prozent gefallen. Seit fünf Jahren erleben wir nie da gewesene Niedrigstände beim Grundwasser. Die Quantität an wertvollem Grundwasser nimmt also ab. Die Qualität wird auch nicht besser. Bis jetzt kann ich keine wirksamen Gegenmaßnahmen erkennen. Wir sind aber immerhin auf dem Level, dass wir das Problem erkannt haben. Das ist die Vorstufe zu „Dann packen wir‘s an!“.

Was würde helfen?

Uns fehlt ein ganz simples Element: nämlich eine fehlerfreie Wasserbilanz. Wir wissen zwar exakt, wie viel die öffentlichen Wasserversorger entnehmen und wie viel bei den gewerblichen Verbrauchern entnommen wird. Andere Entnahmen – wie vor allem die der Landwirtschaft, aber auch im Privaten – werden weitgehend nicht gemessen und nicht erfasst.

Es kann in Deutschland jeder einfach nach Wasser bohren?

Die ganzen kleinen Brunnen in Deutschland, die nur bei den Kreisverwaltungsbehörden angezeigt werden müssen, laufen quasi unter dem Radar. Landwirte müssen das Bohren eines Brunnens sowie die voraussichtliche Wassernutzung zwar anzeigen. Wie viel Wasser sie tatsächlich nutzen, misst und überprüft am Ende aber keiner. Meine wichtigste Forderung lautet deswegen: Jede Entnahme von Grundwasser muss in Zukunft einer Erlaubnis bedürfen, die Menge muss gemessen werden und die Wasserversorger müssen ein Wörtchen mitreden, wo eine Brauchwasserversorgung möglich und sinnvoll ist. Die landwirtschaftliche Bewässerung hat sich mengenmäßig verzehnfacht und wir nutzen alle das gleiche Kontingent an Wasser. Deshalb bedarf es eines Verbrauchsmanagements – und das ist in kommunaler Hand richtig angesiedelt. Ich will nicht zu kompliziert werden, aber die Aufgabe der gesamten Wasserversorgung ist eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Es geht überhaupt nicht mehr so weiter, dass sich in diesem Land mehr oder weniger jeder seinen eigenen Brunnen im Garten schlägt.

Wird unser Trinkwasser sonst knapp?

Es muss sich bisher keiner um Trinkwasser Sorgen machen, das auch für diesen Zweck – zum Trinken – genutzt wird. Aber danach beginnt es: Wie oft muss ich duschen? Wie viel Wasser brauche ich für den Garten? Keine Lösung ist, eben selber nach Wasser zu bohren. Das geht nicht. Das ist ein Fehler im System, Entnahmen müssen erlaubnispflichtig werden.

Ist Mikroplastik im Trinkwasser ein Thema?

Nein. Im Trinkwasser ist das kein Problem. Aber für unsere Bäche, Flüsse, Seen und Meere wird die Anreicherung von größeren und insbesondere kleinsten Plastikteilen, dem Mikroplastik, zunehmend zum Thema.

Wohin entwickelt sich der Wasserpreis in Deutschland?

Die Wasserpreise steigen ständig. Aber: Wenn die Menschen alle begreifen, dass wir von einem durchschnittlichen Wasserpreis von 0,2 Cent pro Liter, also 0,002 Euro pro Liter, sprechen – ich wiederhole: null Komma zwei Cent! –, dann wird klar: Ein Sozialproblem ist das noch lange nicht. Vorausgesetzt, die Menschen verstehen, dass sie über ihre Verbrauchsgewohnheiten ihre Wasserrechnung steuern können.

Verbraucht die Industrie zu viel?

Gerade müssen alle Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategien entwickeln. Natürlich wird es da auch darum gehen, die Prozesse durch Wassersparen und Wasserwiederverwendung effektiver zu gestalten.

Welche Folgen haben längere Trockenperioden für den Wasserhaushalt in Deutschland?

Das Klima in Deutschland hat sich in einem Betrachtungszeitraum von nur 20 Jahren eklatant verändert. Die Temperaturen steigen nicht nur global, sondern eben auch vor Ort an. Das ist keine Episode, sondern eine Veränderung, die uns und unsere Kinder massiv betrifft. Das Hier und Jetzt hat sich komplett verändert, und es gibt keine Tendenz, dass sich das in den nächsten Generationen umdreht. Wenn es heißer ist, verdunstet mehr, wir verbrauchen mehr Wasser, nicht zuletzt in der Landwirtschaft. Die Gewässer erwärmen sich tendenziell. Zudem gehen auch die durchschnittlichen Niederschlagsmengen zurück. Im bayerischen Schnitt fehlen in den letzten 20 Jahren 700 Liter pro Quadratmeter. Das ist eine ganz schöne Menge.

Wird Wasser also doch ein Luxusgut in Europa?

Nur wenn wir den Zugang zum Grundwasser privatisieren und nicht in kommunaler Hand lassen. Ich finde unser Verständnis, wonach das Grundwasser Allgemeingut ist, also gerade keine Eigentümer hat, ganz grandios. Je mehr Brunnen und Quellen von Privatunternehmen aufgekauft werden, umso schwieriger wird es. Und wir erleben durchaus, wie zunehmend mit Flaschenwasser Geld gemacht wird.

Gleichzeitig regnet es immer wieder stark.

In der Tat: Starkregen und insbesondere sturzflutartige Regenfälle treten in den letzten 20 Jahren immer häufiger auf. Dieses Wasser wird grundsätzlich oberflächlich abgeleitet. Der natürliche Untergrund ist nicht in der Lage, die Wassermengen bei Starkregenereignissen aufzunehmen. Das Wasser kommt nicht mehr den Pflanzen und dem Boden zugute. Starke Erosionserscheinungen sind die Folge. Das führt zu Schäden auf landwirtschaftlichen Nutzflächen, weil die obersten Bodenschichten abgetragen werden. Dabei ist der landwirtschaftlich nutzbare Boden ein sehr hohes Gut.

Ändert sich nicht einfach mit dem geänderten Wasserhaushalt auch die Vegetation?

Natürlich gibt es Pflanzen, die mit dem neuen Klima besser zurechtkommen, die weniger Wasser brauchen oder tiefer wurzeln. Aber das ist alles nicht so einfach, denn eine Umstellung erfordert auch erhebliche Investitionen. Wir erfahren aufgrund des Klimawandels eine Verschiebung der Niederschläge ins Winterhalbjahr. Die Vegetationsphase in Deutschland liegt aber zwischen März und Oktober und genau in diesem Zeitraum werden Dürrephasen und Hitzeperioden zunehmen. Auch Starkregen ist für die Vegetation eher schädlich als nützlich. Die Nadelwälder in Deutschland sind bereits in einem desolaten Zustand, da sie besonders flach wurzeln. Das bedeutet, dass es auch beim Wald einen Umbau braucht.

Wäre der Bau von Talsperren eine Lösung, um den Wasserhaushalt ins Lot zu bringen?

In Bayern werden ja nicht Talsperren, sondern große Wasserspangen überlegt. Dadurch werden verschiedene Wasserversorger durch ein Netz aus mehreren Hundert Kilometern neuer Leitungen verbunden. Das ist staatliche Wasserwirtschaft. Ich möchte gerne an ortsnaher Wasserversorgung erhalten, was irgendwie geht. Das sind die Schätze vor Ort. Die brauchen aber auch einen Schutz. Wasserschutzgebiete auszuweisen ist kein vergnügungssteuerpflichtiger Vorgang. Talsperren sind jedenfalls nicht die Lösung schlechthin. Die Planungen sind aufwendig, die Verfahren schleppen sich über Jahrzehnte. Diese Bauwerke sind teuer in Bau und Unterhalt, haben einen schlechten CO2-Fußabdruck und sind bei ausbleibenden Niederschlägen ebenfalls unsichere Wasserquellen. Bestehende Trinkwassertalsperren werden wir nicht aufgeben, aber neue zu bauen – da bin ich skeptisch. Es muss schneller gehen.

Wie ist die Wasserqualität der Flüsse und Seen?

Grundsätzlich sind die Wasserqualitäten in Flüssen und Seen gut. Da hat uns die EU mit ihrer Wasserrahmenrichtlinie und den damit einhergehenden Umweltzielen durchaus einen Schub gegeben. Luft nach oben ist aber immer. Seen sind oftmals von Eutrophierung bedroht, also von zu hohem Nährstoffeintrag über landwirtschaftliche Nutzflächen. Bei den Flüssen hängt die Wasserqualität maßgeblich auch vom mittleren Wasserstand ab. Je niedriger die Wasserstände, umso größer die Probleme. Bei niedrigem Wasserstand sind die Verdünnungen von Einträgen niedriger. Und dann ist im Sommer plötzlich kein Wasser mehr da für die Feldbewässerung. Da muss auch reagiert werden mit Wasserrückhaltungen und Zisternen, die bei höheren Wasserständen befüllt werden. Auch über Kläranlagenabläufe oder über Kühlwassernutzung wird in den Flusswasserhaushalt eingegriffen.

Wie hoch ist die Nitratbelastung?

Wir haben hinter Malta die zweithöchste Nitratbelastung in der EU. Wir haben bis ins Jahr 2023 gebraucht, um eine EU-Richtlinie zu Düngemitteln aus dem Jahr 1991 zumindest auf dem Papier umzusetzen. Seit Jahren wird viel zu viel Nitrat über die Landwirtschaft eingetragen, sodass auf lange Sicht die Nitratabbaukapazität und damit die Regenerationsfähigkeit des Bodens ausgereizt ist. Nitratüberschüsse gehen ins Grundwasser. Wir müssen bei Grundwassernitratverschmutzung die Brunnen schließen.

Welche Technologien kommen künftig zum Einsatz, um Abwässer besser zu reinigen?

Am 5. Oktober stimmte das Plenum des Europäischen Parlaments über die Kommunalabwasserrichtlinie ab. Mit dieser Richtlinie wird für Kläranlagen der Bau einer vierten Reinigungsstufe vorgeschlagen. Dabei geht es darum, in Zukunft auch Arzneimittel, Kosmetika, Reinigungsmittel und andere Haushalts- und Industriechemikalien aus dem Abwasser holen zu können. Da ist übrigens ein spannender Ansatz drin: Weil es nämlich sehr viel schlauer wäre, solche Produkte gar nicht erst auf den Markt zu bringen, sollen die Hersteller zu 80 Prozent für die Kosten dieser vierten Reinigungsstufe aufkommen. Natürlich kann auch jeder Einzelne beitragen: Wer weiß beispielsweise, dass es eine Schmerzsalbe gibt, die einen – selbst bei Bau einer 4. Reinigungsstufe – nicht abbaubaren Stoff enthält? Und diese Salbe ist rezeptfrei in der Apotheke erhältlich. Ich kann nur raten, so etwas nicht zu verwenden.

Was halten Sie von großen künstlichen Seen, wie RWE sie im Braunkohletagebau plant?

Die Frage ist, welche Alternativen haben wir? Der Tagebau hinterlässt ein gigantisches Loch in der Landschaft und es würde rund 100 Jahre dauern, bis so ein See vollgelaufen ist. Daher will man nun Rheinwasser über eine Pipeline einleiten. Das gleiche Problem haben ja auch die Anwohner der Lausitz und vor allem unsere Hauptstadt Berlin. Werden in den Braunkohletagebauen im Osten die Pumpen abgestellt, die Grundwasser in die Spree pumpen, fehlt dem Fluss ein Großteil des Wassernachschubs. Dann liefert die Spree auch kein Wasser mehr für Berlin. Dann wird es wassermäßig eng für die Hauptstadt. Es werden Überlegungen angestellt, die bis zur Überleitung von Ostseewasser reichen, um die Spree am Laufen zu halten.

Zur Person

Dr. Juliane Thimet studierte Rechtswissenschaften in Regensburg, München und Nürnberg. Auslandsstationen führten sie unter anderem zur amerikanischen Umweltbehörde EPA in Chicago. 2003 wechselte sie zum Bayerischen Gemeindetag, einem kommunalen Spitzenverband mit rund 2.300 Mitgliedern, darunter 250 Zweckverbänden der Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Dort war das kommunale Abgabenrecht in all seinen Facetten über viele Jahre hinweg ihr thematischer Schwerpunkt. 2016 wurde ihr die stellvertretende Geschäftsführung des Verbandes übertragen. In Zuge dessen hat sie sich fachlich neu ausgerichtet und bearbeitet nun die Zukunftsthemen der Wasserwirtschaft.

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