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Online-Shopping: Mehr Shein als Sein?
Nach dem Niedergang des stationären Handels steuert jetzt die noch junge E-Commerce-Branche in ihre erste Bewährungsprobe. Neue Technologien und aggressive Firmen aus China mischen die Branche auf. Doch es gibt Wege, sich zu behaupten.
E-Commerce – eine Branche in der Krise? „Nein“, sagt Roland Fiege, international gefragter Berater, Autor und Dozent an verschiedenen Hochschulen mit dem Schwerpunkt Strategieentwicklung auf Social Media. Der Internet-Experte glaubt, dass sich die Lage nur etwas normalisiert, weil während der Pandemie sehr viele Stellen geschaffen wurden, um die Menschen schnell bedienen zu können. Fiege schaffte es mit seiner Einschätzung bis in die „Tagesschau“. Das war im März dieses Jahres, als der Online-Händler Zalando nach langer Boomphase zum ersten Mal bescheidene Zahlen vorgelegt hatte. „Mittelfristig gibt es Gründe, verhalten zu sein“, sagt Robin Estenfelder, Deka-Portfoliomanager für die E-Commerce-Branche, heute. Er klingt damit weniger optimistisch als Fiege und zählt die Gründe für seine Einschätzung auf: „Die traditionellen E-Commerce-Anbieter leiden unter geringerer Nachfrage, hohem Preisdruck und der Notwendigkeit, jetzt zu investieren, weil die Wettbewerber aus China immer besser werden.“
Liegt Estenfelder richtig, steht eine vergleichsweise junge Branche vor Herausforderungen. Bei einer Umfrage des Bundesverbandes E-Commerce und Versandhandel gab knapp die Hälfte der befragten 500 Firmen in Deutschland an, 2023 nicht mehr so viel umzusetzen wie im Vorjahr. Manche sind gar nicht mehr im Geschäft. Windeln.de zum Beispiel. 2015 war das Unternehmen beim Börsengang noch 500 Millionen Euro wert. Als es Ende Januar Insolvenz anmeldete, waren es nur noch fünf Millionen Euro. Keller Sports, auch so ein Senkrechtstarter, ging Ende 2022 bankrott. Selbst die, die es nicht so hart trifft, müssen durchgreifen: Von Amazon bis Zalando geben Unternehmen Entlassungen bekannt, wie sie in der Branche bisher nicht vorgekommen sind.
Umsatzstärkste Online-Shops in Deutschland
Grafik: KD1
Tarek Müller, CEO von About You, verkündete kürzlich zwar überraschend ein Quartal mit schwarzen Zahlen, ist aber ein gefallener Stern in der Otto-Gruppe, die rund zwei Drittel am börsennotierten About You hält. Mehr als 80 Prozent hat der Kurs der Aktie seit dem Börsendebüt 2021 eingebüßt. Sebastian Klauke, E-Commerce-Vorstand von Otto, fasste es beim großen E-Commerce-Branchentreffen K5 so zusammen: „Transform or die.“ Wandeln oder untergehen. Es brauche „Mut, Dinge zu beenden, die nicht funktionieren“. So kann man es formulieren, wenn man wie der Otto-Konzern Projekte abwickelt – etwa den einst erfolgreichen Spielwarenhändler MyToys oder den Schuhshop Mirapodo. Insgesamt wird gespart und auf Profitabilität getrimmt. Die Anteile an About You gelten als Tafelsilber. Wie lange noch? „Der Online-Handel hatte einen einfachen Weg“, beschreibt es Analyst Estenfelder. Er habe erst dem stationären Handel das Wasser abgegraben und die niedrig hängenden Früchte geerntet. Jetzt komme die Bewährungsprobe.
Minusgeschäft wegen Retouren
Drei Faktoren belasten die einst verwöhnten Online-Händler. Die Konsumlaune ist wegen der hohen Inflation schlecht, was insbesondere für Deutschland gilt. Aber auch innerhalb der EU sieht die gesamtwirtschaftliche Lage eher trübe aus. Da stört es aus Unternehmenssicht umso mehr, dass die EU den Online-Handel stark reguliert und sehr verbraucherfreundliche Vorschriften erlassen hat: Besonders kämpfen die Händler mit dem Rücksendeverhalten der Konsumenten. Die Regelungen zum Widerrufsrecht zwingen sie dazu, Retouren anzunehmen, auch wenn diese beschädigt oder abgenutzt zurückkommen. Jedes fünfte Paket kommt nicht mit einwandfreier Ware zurück. Für die Händler bedeutet das ein Minusgeschäft. „Wir appellieren deshalb an Verbraucher, mit Waren gewissenhaft umzugehen und Retouren möglichst zu vermeiden, indem jeder Bestellung eine Kaufabsicht zugrunde liegt“, sagt Händlerbund-Chef Tim Arlt. Und er schimpft: „Kostenfreie Versandbedingungen dürfen kein Freifahrtschein für Spaßbestellungen sein.“
Doch es sind nicht allein die schlechte Konsumentenlaune und eine hohe Retourenquote, die den europäischen E-Commerce zwingen, die eigene Strategie zu überdenken. Ganz oben auf der Liste der Punkte, die derzeit schmerzen, stehen enorme technologische Veränderungen und Wettbewerber aus China mit Methoden, die so neuartig wie erfolgreich sind. Die Firmen im Reich der Mitte haben ihr Pulver noch längst nicht verschossen, sondern lernen ständig dazu – „in einer Geschwindigkeit, die noch nie da gewesen ist“, sagt Estenfelder.
Das trifft auch die Großen der Branche – etwa Zalando. Chinesische Konkurrenten wie das 2008 in Singapur gegründete Shein könnten für Zalando so gefährlich werden, wie es Zalando in den vergangenen 15 Jahren für Peek & Cloppenburg war. Shein schafft es dank rabiater Methoden und eines innovativen On-Demand-Systems, mit 16-Euro-Jeans irrwitzige Margen zu erreichen. Durch die Vielzahl von Daten und die Fähigkeit, sie zu nutzen, kann das Unternehmen vorhersehen, was Kunden wollen, und so sehr schnell auf Modetrends eingehen. Keine andere App wurde im vergangenen Jahr weltweit so häufig heruntergeladen.
Oder Temu, Online-Händler der Stunde, erst seit 2022 am Markt und zur PDD Holdings aus Schanghai gehörend. Die Zahl der Kunden steigt in hohem Tempo, derzeit dürften es weltweit 750 Millionen aktive Nutzer sein. Hohe Rabatte sind ein Kennzeichen, aber es steckt viel mehr hinter dem Erfolg. Kundinnen und Kunden können sich leicht für Sammelbestellungen zusammenschließen oder bei Online-Spielen Gutscheine erhalten. Chinesische Firmen beliefern, ohne Lagerhäuser in Europa oder den USA zu nutzen, die Kunden direkt aus der Produktion.
Ganz sauber arbeiten Shein und Temu möglicherweise nicht, und die Liste der Vorwürfe ist lang: Sie sollen Nutzerdaten missbrauchen, potenziell gesundheitsschädliche Materialien verarbeiten und geistiges Eigentum stehlen – inklusive der Designs anderer Modemarken. Das Unternehmen hinter Temu, PDD Holdings, ist beispielsweise in der Vergangenheit von der Kommission zur Überprüfung der Wirtschafts- und Sicherheitslage zwischen den USA und China (USCC) wegen seiner unethischen Arbeitspraktiken, Produktsicherheit und Umweltauswirkungen kritisiert worden.
Während die traditionellen E-Commerce-Plattformen von der Suche der Nutzerinnen und Nutzer nach bestimmten Waren getrieben sind, bieten die chinesischen Anbieter aber ein virtuelles Shopping-Erlebnis. Kunden gehen dorthin, auch wenn sie gerade gar nichts kaufen möchten, allein um sich unterhalten und inspirieren zu lassen. Die Ironie: Genau das war jahrzehntelang das Geschäftsmodell des stationären Handels. Einkaufen war Event, Lebensart und bot Überraschungen. Dann kam die Effizienzmentalität. Gepaart mit Innenstädten voller immer gleicher Ketten ergibt das pure Langeweile.
Für Senioren gibt es einen eigenen Kaufmodus
Chinesische Händler setzen auf Gamification, Chats und Spieltrieb. Die Hürden für die Neukundengewinnung sind niedrig: Käufer müssen nicht zuerst aufwendig Dinge wie Zahlungsdaten eingeben. Bis zum Kauf über eine App, die man zuvor noch nie benutzt hat, vergehen nur Sekunden. Zudem ist der Konsum ein Gruppenerlebnis, denn die sozialen Medien sind direkt angeschlossen. Freundinnen und Freunde sind live mit dabei, was Chinesen sehr wichtig ist. Fast der gesamte Konsum findet dort zudem über das Smartphone statt, entsprechend optimiert sind die Apps. Händler müssen wenig für Werbung ausgeben, die spielt in China nur eine Nebenrolle. Viel mehr Wert wird auf die User-Experience gelegt und darauf, dass sich Kunden wohlfühlen: Lieferungen in den großen chinesischen Städten binnen einer Stunde sind keine Seltenheit. Technische Aussetzer gibt es selbst an den großen Rabatttagen nicht, da schafft Alibaba auch mal 500.000 Bestellungen – pro Sekunde wohlgemerkt. Es gibt für Senioren einen eigenen Modus, sodass es Ältere auch auf dem Smartphone sehr viel einfacher haben, Dinge zu suchen und zu bestellen.
Dass es mit dem Service in Europa nicht so gut bestellt ist, zeigt eine Analyse des Call-Center- und Lagerhausspezialisten Salesupply. So wird nicht einmal jene EU-Direktive flächendeckend umgesetzt, nach der Webshops eine Telefonnummer angeben müssen. Mehr als jeder vierte Online-Shop kommt dieser Informationspflicht nicht nach. „Selbst große Online-Händler vermeiden den telefonischen Kontakt zu ihren Kunden nach Möglichkeit und betrachten Customer-Care offenbar ausschließlich als lästigen Kostenblock“, sagt Salesupply-Mitgründer Henning Heesen.
Aber es gibt auch Gegenbeispiele. Ein solches Unternehmen, das seine Kundinnen und Kunden offenbar gut versteht, ist Mytheresa. „Selbst ChatGPT wird emotional, wenn es uns beschreibt“, witzelt CEO Michael Kliger. Der Münchener Modehändler wächst Jahr für Jahr um rund 20 Prozent. Luxus ist resistent gegen jede Krise, wie es scheint. Das Partnerprogramm wird größer, kaum eine Marke kann es sich leisten, nicht bei Mytheresa präsent zu sein. „Ware wird bei uns gekauft wegen Emotionen. Wenn man das nicht versteht, geht man das Geschäft falsch an“, sagt Kliger. Für Topkunden werden Events veranstaltet und exklusive Produkte angeboten. Bei aller Digitalisierung brauche es persönliche Ereignisse vor Ort.
Wobei Technik schon helfen kann, Mensch und Maschine besser zusammenzubringen. Gerade ChatGPT und andere Anbieter von sogenannter generativer KI könnten alles verändern. Unter dem Schlagwort Conversational Commerce bündeln Fachleute Verfahren, um Kunden besser zu betreuen. Weil die sprachgesteuerten Assistenten der Techriesen Amazon, Apple, Google und Microsoft nicht das leisten, was man sich gewünscht hat, hofft die Branche jetzt auf Chatbots. Allen voran die KI-Chatbots, die auf dem Weg sind, wegen ihres komplexen Wissens menschliche Ansprechpartner zu übertreffen. Auch Amazon ruht sich nicht auf seiner Marktmacht aus, wie Rocco Bräuniger betont. „KI ist ein Marathon, wir haben erst die ersten Meter hinter uns“, sagt der Country Manager für den deutschsprachigen Raum. Virtuelle Anprobe, die Auswertung von Kundenempfehlungen, besserer Service – Beispiele gibt es viele. Die Konkurrenz inklusive der chinesischen Riesen habe man dabei nur bedingt im Auge: „Es wird immer harte Konkurrenz geben im Retail-Geschäft. Wir konzentrieren uns auf den Kunden, nicht auf den Wettbewerb.“
Chinesische Anbieter skeptisch beurteilt
Dem Online-Riesen Amazon gelingt es bislang, alle anderen auf Abstand zu halten. Er ist nach wie vor die erste Anlaufstelle beim Einkauf im Netz – weit vor anderen etablierten Marktplätzen wie eBay oder Zalando. Und auch deutlich vor lokalen Marktplätzen oder gar neuen Anbietern mit Waren aus Asien. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls der neue „Trend Check Handel“ des ECC KÖLN, der neben der aktuellen Konsumneigung beziehungsweise -zurückhaltung auch den Status quo des Online-Marktplatz-Geschäfts in Deutschland untersucht. Danach zeichnet sich Amazon dadurch aus, dass die Amerikaner bereits vor dem Kauf als Informationsquelle Nummer eins für das jeweilige Produkt gelten. Rund einem Drittel aller stationären Käufe geht eine Informationssuche bei Amazon voraus. Bei Online-Käufen ist es sogar jeder zweite Kauf, bei dem man sich vorher gezielt auf Amazon informiert. Würde Amazon als Einkaufskanal nicht mehr zur Verfügung stehen, würden 20 Prozent der Kundinnen und Kunden in der Folge weniger kaufen. 2019 lag dieser Wert noch bei der Hälfte.
Aber sind dennoch neue Marktplätze mit Billigprodukten aus Asien die Zukunft? Noch nicht, meint das ECC. Anbieter wie Shein oder Temu werden hierzulande auch skeptisch beurteilt: 41 Prozent der Befragten geben an, niemals auf Marktplätzen mit billiger Ware aus Asien einkaufen zu wollen. Die beliebtesten Online-Marktplätze sind nach wie vor die bekannten Namen Amazon, eBay und Otto. Das sagen die Kundinnen und Kunden. Aber sie sind auch neugierig und lassen sich zu Käufen verleiten: Der neue Player Temu ist mit seinem Gamification-Ansatz erfolgreich und hat eBay und Otto bei den regelmäßigen monatlichen Bestellungen in Deutschland bereits überholt. Jetzt kommt es darauf an, wie nachhaltig diese Entwicklung sein wird.
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