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„Den Verdrängungseffekt nicht vergessen“
Macht die Wirtschaft einen Freudensprung, angesichts einer gelungenen Europameisterschaft mit vielen Besuchern in Deutschland? Volkswirtschafts-Professor Oliver Holtemöller hat sich mit dem Zusammenhang zwischen Sport-Großereignissen wie EM oder Olympische Spiele und ihren volkswirtschaftlichen Effekten beschäftigt. Vor zu großer Euphorie warnt er.
Herr Holtemöller, versetzen wir uns ins Fußball-Sommermärchen 2006 zurück. Nicht nur die deutsche Nationalmannschaft spielte überraschend stark auf, auch die Wirtschaft kam wieder in Form. Gab es da einen Zusammenhang?
Das ist in der Tat interessant und gut erforscht. Damals hatte der Aufschwung aber schon früher begonnen. Deutschland startete nach einer Schwächephase mit nur 0,7 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2005 gut in das Jahr 2006. Im Weltmeisterschaftsjahr 2006 betrug das Wachstum dann 3,6 Prozent.
Und besteht damit aus Ihrer Sicht ein Zusammenhang zwischen Wachstum und der damaligen Fußball-WM?
Eher nicht. Das Wachstum damals war getrieben von Investitionen und vom Außenhandel. Beides hatte nicht unmittelbar etwas mit dem Fußballturnier zu tun. So eine Weltmeisterschaft im eigenen Land müsste sich ja – wenn überhaupt – vor allem bei den Umsätzen im Handel und im Gastgewerbe bemerkbar machen. Und da gab es keine besonders auffällige Dynamik in den Sommermonaten. Die Konsumdynamik war sogar insgesamt schwach, weil die Realeinkommen durch hohe Energiepreise gedämpft wurden. Für die Konjunktur waren die starken Ausrüstungsinvestitionen wichtiger, die von Abschreibungserleichterungen und sinkenden Lohnstückkosten stimuliert wurden.
Demnach entstand damals Wachstum, weil sich Unternehmen neue Maschinen gekauft haben, die sie steuerlich schneller absetzen konnten. Aber was wissen Ökonomen generell über die Auswirkungen sportlicher Großereignisse wie derzeit auch die Olympischen Spiele? Und was bedeutet das konkret für diesen Sommer?
Einzelne Branchen profitieren von Sport-Großveranstaltungen. Gastgewerbe und Handel stehen während der Wettbewerbe im Vordergrund und in der Zeit davor vor allem das Baugewerbe. Aber das bedeutet nicht unbedingt mehr Wertschöpfung im ganzen Land. Denn was bei vielen Studien, die zu positiven Gesamtergebnissen kommen, oft vergessen wird, ist der Verdrängungseffekt.
Nennen Sie bitte ein Beispiel.
Schauen wir uns den Tourismus an. Natürlich kommen Fußballtouristen aus den umliegenden Ländern. Aber wer mit Fußball nichts anzufangen weiß und stattdessen vielleicht auf Alte Meister und auf die Berliner Museumsinsel steht, der kommt in dem Zeitraum der Europameisterschaft lieber nicht. Auch ein Teil der Einheimischen meidet den Trubel lieber.
Foto: picture alliance / REUTERS / Toya Sarno Jordan; Titelfoto: picture alliance / dpa / Britta Pedersen
Stella Li vom chinesischen EM-Hauptsponsor BYD: Die Topmanagerin gilt als neue Verantwortliche für den europäischen Markt, um die mauen Zulassungszahlen in Europa – und vor allem in Deutschland – anzukurbeln.
Demnach bleibt ein positiver Effekt aus?
In der Regel gibt es keinen landesweiten positiven Konjunktur- oder Wachstumsimpuls durch Sport-Großveranstaltungen. Die tatsächlichen Kosten werden im Vorfeld oft dramatisch unterschätzt. Insgesamt gilt: Je weniger gut Land und Infrastruktur schon vorher entwickelt waren, desto teurer kommt einen so ein Sport-Großereignis zu stehen. Wo dagegen die Infrastruktur schon steht, gelingt es mit vergleichsweise weniger Mitteln, so ein Großereignis über die Bühne zu bringen. Die Olympischen Spiele in Los Angeles 1984 waren ökonomisch erfolgreich, Barcelona 1992 auch, jedenfalls für die Stadt. Die Spanier haben vieles ertüchtigt, was dann auch danach genutzt wurde und dauerhaft zur Blüte von Barcelona beigetragen hat. Das sogenannte Sommermärchen 2006 in Deutschland hatte dagegen keinen substanziellen Effekt auf die gesamte Wirtschaftsleistung hierzulande. Auch die Weltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien waren ökonomisch betrachtet für die Länder langfristig eher ein schlechtes Geschäft. Aber dass es etwas kostet, spricht ja nicht gegen das Ereignis.
Und dann fällt das erste Tor – gibt es messbare psychologische Effekte?
Es gibt messbare Stimmungsindikatoren und es wäre nicht unplausibel, wenn die ausschlagen. Der Ifo-Geschäftsklimaindex etwa gehört dazu. Aber auch da lassen sich keine eindeutigen statistischen Zusammenhänge belegen. Mitte 2006 verschlechterte sich das Geschäftsklima sogar leicht.
Sie sprachen von einzelnen Branchen, die profitieren. Welche sind das?
Ganz eindeutig der Getränkeausschank – da gab es 2006 einen deutlichen Ausschlag nach oben. Einzelhandel und Gastgewerbe liegen vorn. Bei Restaurants dagegen sieht man fast nichts. Und oft geht das Umsatzplus eher auf Preiserhöhungen als auf Mengensteigerung zurück. Volkswirtschaftlich hinterlässt das aber kaum Spuren. Auch in der Unterhaltungselektronik können wir keinen nachhaltigen Effekt messen. Vor einer Weltmeisterschaft steigt zwar die Anzahl der verkauften TV-Geräte leicht, sie geht danach aber so deutlich zurück, dass das nur Vorzieheffekte sind: Das Gerät, das sowieso gekauft werden sollte, wird zwei Monate eher angeschafft. Was bleibt, ist die Bauwirtschaft. Dort sind die Investitionszyklen aber lang, und die messbaren Ausschläge mit Blick auf ein Großereignis können wir etwa zwei Jahre feststellen, bevor die Veranstaltung über die Bühne geht.
Was halten Sie davon, wenn Adidas bald nicht mehr Trikotlieferant und der chinesische Autohersteller BYD nun Hauptsponsor bei der Europameisterschaft ist?
Ich bin fassungslos – aber nicht über diese Entwicklung, sondern über die, die das kritisieren. Das ist ein ganz normaler marktwirtschaftlicher Prozess. Wenn andere Länder das auch so sähen wie einige hierzulande, dann dürfte ja zum Beispiel Adidas keine andere Nationalmannschaft als die deutsche ausrüsten. Aus ökonomischer Perspektive ist es gut, dass auch bei den Ausrüstern Wettbewerb besteht.
Zur Person
Oliver Holtemöller studierte Volkswirtschaftslehre, Angewandte Mathematik und Praktische Informatik an der Justus-Liebig-Universität Gießen. 2001 promovierte er an der Freien Universität Berlin. Von 2001 bis 2003 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Sonderforschungsbereich 373 Quantifizierung und Simulation ökonomischer Prozesse an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 2003 bis 2009 folgte die Station als Juniorprofessor für Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der RWTH Aachen. Seit August 2009 ist Holtemöller Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomik, an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Leiter der Abteilung Makroökonomik am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Im Dezember 2011 wurde er Mitglied des Vorstands des IWH und seit März 2014 ist er Vizepräsident des Instituts.
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