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27.01.2025

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4 Min.

„Krisen bergen Chancen, zeigt die Historie“

Text:

Nikolaus Wolf schaut als Professor für Wirtschaftsgeschichte gerne zurück. Was können wir aus der Vergangenheit lernen, weshalb taugen die USA wirtschaftlich nicht als Vorbild und warum ist es wichtig, nicht zu lange an alten Technologien festzuhalten?

Herr Professor Wolf, die USA mit ihrer Zollpolitik und China mit seinem nachlassenden Wachstum werden die Märkte vor Herausforderungen stellen. Wie sollte Europa darauf reagieren?

Die EU und Deutschland sind sehr gut beraten, den europäischen Binnenmarkt nicht aus den Augen zu verlieren. Deutschland erzielte 2023 rund 68 Prozent seines Außenhandelsüberschusses in der EU. Wenn man das Vereinigte Königreich dazuzählt, waren es sogar 87 Prozent. Europa ist also für die deutsche Wirtschaft wahnsinnig zentral. Das war es schon vor Jahrhunderten, und das wird es auch bleiben. Wir müssen uns deswegen auf die Stabilität Europas konzentrieren. Da gibt es viel Potenzial.

Die USA sind wirtschaftlich kein Vorbild?

Trump und Co. haben als politisches Konzept Nationalismus und America First. Das funktioniert in einem riesigen Binnenmarkt wie den USA oder eben China. In Deutschland aber wäre das schlicht und ergreifend Selbstmord. Die Menschen brauchen etwas anderes. Sie brauchen eine positive Zukunftsversion, um sich anzustrengen. Sie wollen nicht nur arbeiten, um etwa einen noch größeren Gewinn für die Firma herauszuholen. Das Modell Europa ist ein tolles Modell für eine Zukunftsvision. Wir haben viele Freiheiten und soziale Sicherheiten, die man in den USA nicht hat. Die Sicherheit in europäischen Städten ist sogar in London deutlich besser als etwa in Houston. Die Mordrate dort ist etwa zehnmal höher und dabei liegt Houston da nur im Mittelfeld. Da möchte ich doch nicht mit den USA tauschen. Das ist doch kein Vorbild. Und wenn Trump sagt, er wolle Grönland kaufen, dann sollten wir Kanada auffordern, der EU beizutreten. Eine offensive Herangehensweise ist historisch immer die beste gewesen.

Die EU steht inzwischen für Bürokratie und Überregulierung. Das soll eine Vision sein?

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ging gerade an Forscher, die die Abhängigkeit einer starken Wirtschaft von starken Institutionen herausgearbeitet haben. Es braucht einen starken und funktionsfähigen Staat, der Regeln durchsetzen kann und für Stabilität sorgt. Natürlich besteht die Gefahr der Überregulierung. Und das ist ohne Zweifel in Deutschland und Europa passiert. Wir müssen die Balance zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Nur-den-Rahmen-setzen zurückgewinnen. 

Aber das funktioniert doch nicht.  

Gucken Sie sich das Steuersystem an: Je komplexer es ist, desto mehr werden große Vermögen bevorzugt. Es sind am Ende nur die Vermögenden, die sich eine gute Beratung erlauben können. Der kleine Steuerzahler zahlt einfach. Feintuning, auch wenn es soziale Ziele verfolgt, ist kontraproduktiv. Gerechtigkeit entsteht nur, wenn es einfacher wird. 

Und das alles können wir mit dem Blick zurück lernen?

Wir können aus der Vergangenheit lernen, dass mit der Industrialisierung immer Umbrüche einhergehen. Das war so in der neueren Zeit mit der Textilindustrie, es gab erst einen Boom und dann kam die Krise. Gerhard Hauptmann hat das in seinem Werk „Die Weber“ dramatisch gezeigt. Maschinen übernahmen die Jobs von Menschen. Andere Länder wurden wettbewerbsfähiger. Die Menschen verloren ihre Arbeit und hungerten. Am Ende ist von der Textilindustrie nichts mehr übrig geblieben, aber neue und bessere Jobs entstanden woanders. Das hat sich dann oft wiederholt: Bis nach dem Zweiten Weltkrieg boomte die Montanindus-trie in Deutschland. Sie ist zusammengebrochen, weil Öl und Gas billiger wurden als Kohle und später auch Eisen und Stahl aus anderen Ländern preiswerter waren. Durch den Zusammenbruch sind sehr viele Traditionen und Jobs verloren gegangen. 

Welche Konsequenzen ziehen Sie als Wirtschaftshistoriker daraus?

Überall, wo man nicht lange an der alten Technologie festhielt, sondern schnell umsteuerte, war man am Ende besser beraten. Und Massenarbeitslosigkeit entstand daraus niemals, sondern es entstanden neue Jobs vor allem im Dienstleistungsbereich.

Droht der Autoindustrie in Deutschland das gleiche Schicksal wie der Montanindustrie? 

Wir müssen uns fragen, warum Deutschland so erfolgreich Autos exportiert hat. Meine These ist: Es hat etwas mit Rohstoffmangel zu tun. Er zwang die Industrie dazu, ressourcensparende und robuste Motoren zu entwickeln. Das hat die deutsche Autoindustrie wettbewerbsfähiger gemacht als alle anderen. Ressourcenmangel führt zu technologischer Verbesserung. Das Gleiche gilt für die Chemieindustrie. Deutschland hatte kaum Kolonien, von denen es Rohmaterialien importieren konnte. Der Rübenzucker ist eine Erfindung, die aus dieser Not kam. Bevor es ihn gab, war Deutschland ein großer Zuckerimporteur aus den Kolonien anderer europäischer Länder. Dann erfanden die Ingenieure ein Verfahren, um Zucker aus Rüben zu gewinnen und Deutschland wurde zeitweilig zum größten Zuckerproduzenten und -exporteur der Welt. Der Mangel und die technologische Antwort darauf, haben Deutschland und Europa immer wieder in Wellen vorangebracht. Da haben wir Expertise. Auch die Autoindustrie wird eine Antwort finden.

So richtig abreiten können wir die Wellen gerade nicht.

Wir befinden uns im Wellental. Was zum Beispiel die Potenziale von KI anbelangt, stehen wir nicht gut da. In den USA findet mehr Innovation statt, weil die Regulierung stark abgebaut wird. Das ist eine gefährliche Situation für Deutschland und Europa. Wir brauchen Innovation und ihre Anwendung. Deutschland hat es geschafft, aus Krisen durch Innovation herauszukommen. Die Chance müssen wir uns erhalten. Und auch den europäischen Blickwinkel dürfen wir nicht verlieren. Hier liegt traditionell unsere Außenhandelsstärke. Wir brauchen noch mehr Kooperation auf europäischer Ebene. Etwa in der Sicherheitspolitik. Es geht nicht nur ums Wieder-flott-machen der Bundeswehr. Es geht um neue Waffensysteme auf europäischer Ebene.

Welche Rolle spielen politische Entscheidungen? 

Wirtschaftszyklen sind unabhängig von politischen Entwicklungen. Und technologische Umbrüche spielen eine viel größere Rolle als politische Entscheidungen. Was man als Historiker zeigen kann, ist, dass die Qualität von Institutionen fundamental wichtig ist für langfristiges Wachstum. Dazu eine möglichst stabile Regierung. Und es wäre vernünftig, wenn nicht jede neue Regierung alles rückgängig macht, was die Vorgängerregierung auf den Weg gebracht hat.

Was lässt sich aus den jüngeren Krisen lernen? Aus der Finanz- und Schuldenkrise etwa – oder ja: Corona? 

Das war traumatisch. Aber in Wahrheit sind wir mit jeder Krise weitergekommen. Corona hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst. Ich habe es an der Uni selbst erlebt: Online-Seminare waren vorher etwas für Nerds. Inzwischen weiß jeder, dass man Lehre auch online machen kann. Oder schauen Sie sich Biontech an, denen der Durchbruch bei der Impfforschung gelungen ist. Das Unternehmen ist ein Superstar geworden, und die Hoffnung ist, dass von dort aus nun auch Durchbrüche in der Krebsforschung kommen. Es ist und bleibt eine Binsenweisheit: Krisen bergen Chancen. Die Geschichte beweist das.

Titelfoto: HU Berlin

Zur Person

Nikolaus Wolf ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Uni in Berlin. Mit kaum 30 Jahren war er 2004 als einer der jüngsten Wissenschaftler auf eine Juniorprofessur an die Freie Universität Berlin berufen worden, nachdem er fast zeitgleich zwei Universitätsabschlüsse hintereinander abgelegt hatte: als Diplom-Volkswirt und als Magister der Geschichte.

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