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19.12.2022

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6 Min.

„Unternehmen müssen selbst Vorsorge treffen"

Text:

Die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer über den Wert von Prognosen in einer Welt, in der ständig alles anders kommt, den Staat als Retter, ein herausforderndes Jahr 2023 und die Männer im Rat der Weisen.

Frau Professor Schnitzer, wenn Sie aus einer Helikoptersicht auf die ökonomische Lage schauen: Die Börsen haben den Crash vermieden, die Energiepreise sinken schon wieder und bei der Inflation könnte der Höhepunkt in Sicht sein. Ist mal wieder alles gut gegangen?

Gut gehen wird es nur dann, wenn sich die Menschen der Situation anpassen. Die Energiepreise sinken allmählich, weil auf der einen Seite gespart und auf der anderen das Angebot angepasst wird. Flüssiggas kommt an, die Speicher sind voll. Das reduziert die Unsicherheit. Und das drückt schon mal den Preis. Aber es gibt natürlich Risiken.

Wir haben beim Gaseinkauf doch schon wieder übertrieben. Vor den Küsten gondeln Gastanker, die nicht gelöscht werden, weil sie zum gesunkenen Preis ihr Gas nicht verkaufen wollen. In einigen Ländern sind die Aufnahmekapazitäten für Flüssiggas bereits erschöpft. 

Der Vorwurf geht in die falsche Richtung. Hätte sich Deutschland beim Gaseinkauf zurückgehalten, wäre der Ärger noch größer. Wir haben es ja damals bei den Impfstoffen gesehen. Da hat die Bundesregierung anfangs nicht zu jedem Preis alles gekauft, und die Kritik war groß. 

Andere Länder machen uns aber genau den Vorwurf, dass wir den Preis nach oben und den Markt leer gekauft haben.

Das kann ich nachvollziehen. Eine bessere Absprache in der EU wäre gut gewesen.

Wie lautet Ihre Wachstumsprognose fürs kommende Jahr?

Minus 0,2 Prozent. Das ist eine erhebliche Diskrepanz zu unserer Frühjahrsprognose. Damals haben wir noch ein Plus von 3,4 Prozent erwartet. Wir hatten damit gerechnet, dass die Lieferketten sich weiter entspannen und das zum Wachstum beiträgt. Aber dann haben uns Energiekrise und Krieg ausgebremst. 

Andere Volkswirte gehen von schlechteren Prognosen aus. Wir haben das dritte Quartal 2022 schon eingerechnet und das ist besser gelaufen als erwartet. Deswegen ist unsere Prognose derzeit etwas positiver als die von anderen.

Was sind Prognosen eigentlich wert, wenn immer alles anders kommt, als man denkt?

Prognosen sind wichtig, um planen zu können, etwa den Bundeshaushalt und wie hoch die erwarteten Steuereinnahmen sein werden. Es hat sich aber eben sehr viel verändert. Wir hatten bei unserer Frühjahrsprognose noch keinen Rückgang der russischen Gasimporte eingerechnet. Preissteigerungen schon, aber eben keine Lieferausfälle. Das ist anders gekommen. Wir haben jetzt hintereinander zwei massive Krisen gehabt, die so niemand vorhergesehen hat. Zuerst Corona, mit Lockdowns, die gesundheitlichen Belastungen, die Lieferengpässe – und dann der Angriffskrieg auf die Ukraine mit seinen Folgen. 

Stecken wir wirklich in einer Zeitenwende? Die Auseiandersetzungen mit Russland sind ja nicht vom Himmel gefallen. Und die Energie war doch in Wahrheit bisher viel zu billig. 

In der öffentlichen Wahrnehmung gibt es diese Zeitenwende auf jeden Fall. Nach dem Mauerfall haben die allermeisten in Deutschland doch den Eindruck gehabt, der Antagonismus zwischen Ost und West sei überwunden und wir werden zusammenwachsen. Wir haben ganz bewusst die Handelsbeziehungen ausgebaut. Vielleicht war der Wunsch der Vater des Gedankens. Sonst hätten wir nicht diese Friedensdividende eingefahren und beispielsweise bei der Verteidigung gespart. Waren wir dabei wirklich naiv? Möglicherweise. Viele warnende Stimmen gab es jedenfalls nicht.

Donald Trump hat, was die Verteidigung und Nord Stream 2 anbelangt, beispielsweise gewarnt.

Trump ist noch nicht lange her. Und man konnte bei ihm leicht den Verdacht haben, er wolle vor allem US-amerikanisches Flüssiggas verkaufen.

Wenn Sie der Bundesregierung Noten geben sollten, welche Note geben Sie ihr für ihre Energiepolitik?

Ich vergebe keine Noten. 

Also gut – wie bewerten Sie die Energiepolitik der Bundesregierung?

Da gab es einige gute und schnelle Entscheidungen. Es wurde schnell auf Flüssiggas gesetzt. In Windeseile wurde der Einkauf auf den Weg gebracht, mobile LNG-Terminals beschafft und der Bau der Infrastruktur angestoßen. Ich hoffe, diese Geschwindigkeit ist jetzt auch Vorbild für das, was wir bei der Energiewende leisten müssen. Wir brauchen schnellere Verfahren, um auch Erneuerbare auszubauen. Einspruchsmöglichkeiten beispielsweise für jeden neuen Bauabschnitt zuzulassen, das ist zu langwierig. Sie sollten in einem Schritt entschieden werden, wie jetzt beim Bau der LNG-Terminals. 

Tesla hat in Grünheide auch in Nullkommanichts eine Fabrik hochgezogen. Es geht also.

Tesla ist ins Risiko gegangenen. Hätte es die Genehmigungen nicht bekommen, hätte die Fabrik zurückgebaut werden müssen. Dass Unternehmen so agieren, ist nicht gesetzt. Aber Beschleunigungsverfahren für Bauvorhaben sind im Koalitionsvertrag bereits verabredet. Klimaschutz vor Artenschutz ist so ein Prinzip, das das Bauen für die Energiewende beschleunigen kann. 

Wie bewerten Sie die Sozialpolitik der Bundesregierung – insbesondere das neue Bürgergeld?

Es ist gut, dass hier ein neuer Name gefunden wurde. Gut ist auch, den Vorrang der Vermittlung in Arbeit abzuschaffen. Für stabile Beschäftigungen ist es wichtiger, dass die Menschen etwas lernen und, wo nicht vorhanden, einen Abschluss machen. Die Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen ist auch gut. Wenn Jugendliche in einer Bedarfsgemeinschaft wie einer Familie hinzuverdienen, wurde das bisher eins zu eins abgezogen. Der Anreiz zu arbeiten sank damit ganz erheblich. Unterm Strich halte ich das Bürgergeld, so wie es am Ende im Vermittlungsausschuss zwischen Regierung und Opposition ausgehandelt worden ist, für vernünftig.

Arbeitgeber können eine Inflationsausgleichsprämie zahlen. Die einen machen’s, die anderen nicht. Schürt das die Ungerechtigkeit?

Die Idee ist, eine Alternative zu schaffen für sonst notwendige Tariferhöhungen. Es geht um Einmalzahlungen statt dauerhafter Lohnerhöhung. Und das ist das richtige Instrument, um die Inflation im Zaum zu halten. Arbeitgeber, die beides nicht zahlen können, werden sich schwertun, ihre Leute zu halten. Das lässt sich zum Beispiel in der Gastronomie beobachten. Wenn die Unternehmen in der Situation nicht besser bezahlen können, haben sie in Wahrheit kein Geschäftsmodell mehr. 

Was halten Sie von der Gaspreisbremse?

Die Gaspreise sind massiv gestiegen. Wenn die Versorger das eins zu eins auf ihre Kunden abwälzen würden, würde sich deren Rechnung verdrei- oder sogar verfünffachen. Wer vorher nichts übrig hatte zum Sparen, wird diese Preise nicht zahlen können. Insofern ist die Gaspreisbremse nötig. Gelungen ist auch, dass der Sparanreiz erhalten bleibt, weil nur 80 Prozent des Verbrauchs gedeckt sind. Nicht gelungen ist, die Bremse zielgerichtet nur denen zukommen zu lassen, die sie wirklich brauchen, und den anderen nicht. 

Was waren Ihre Vorschläge?

Zum Beispiel, den Abbau der kalten Progression zu verschieben. Denn damit entlastet man vor allem mittlere und hohe Einkommen. Und die niedrigeren eher weniger. Diese Maßnahme kostet uns einen zweistelligen Milliardenbetrag, den wir nur durch Schulden finanzieren können. Auch ein Soli für Energie könnte helfen, der einkommensabhängig und zeitlich klar befristet so lange läuft, wie die Gaspreisbremse in Kraft ist. 

Wie bewerten Sie die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung? Die Unternehmen klagen über Arbeitermangel.

Die Bundesregierung muss die Einwanderung entschieden erleichtern. Dazu sollte sie die Gleichwertigkeitsprüfungen der Abschlüsse bei nicht reglementierten Berufen erleichtern oder noch besser ganz abschaffen. Entscheidend sollte die Arbeitsplatzzusage sein. Wenn jemand nicht alles kann, wird nachgeschult, oder der Job passt eben nicht. Wir sehen das bei der sogenannten Westbalkanregel, die gut funktioniert. Die Menschen von dort können ohne Gleichwertigkeitsprüfung einreisen. Eine Arbeitsplatzzusage reicht. Sie verdienen hier gute Löhne und sind in festen Beschäftigungsverhältnissen. 

Beschädigt der Staat als Dauerretter die soziale Marktwirtschaft?

Dass der Staat in einer Krise koordiniert und die unterstützt, die unverschuldet in Not geraten sind, ist offensichtlich richtig. Bei Unternehmen, denen geholfen wird, sehe ich das differenzierter. Unternehmen müssen selbst Vorsorge treffen. Sie müssen etwa Lieferketten diversifizieren. Wenn sie das nicht tun, kann das nicht auf Kosten der Allgemeinheit gehen. Manche Unternehmen werden auch nach der Krise kein funktionierendes Geschäftsmodell mehr haben, weil für sie die Energiepreise zu hoch sein werden. Sie jetzt zu unterstützen ist deshalb nicht sinnvoll. 

Die Wirtschaftsweisen legen regelmäßig ein aufwendiges Gutachten vor, dessen Wirkung aber überschaubar ist. Welche Rolle spielen Sie?

Wir dokumentieren und bewerten die gesamtwirtschaftliche Lage: Was sind Stellschrauben, um ins richtige Fahrwasser zu kommen? Welche Entwicklungsvarianten gibt es, welche Optionen haben wir? Unsere Vorschläge werden natürlich nicht alle eins zu eins übernommen, es muss ja politisch bewertet werden. Das ist doch völlig selbstverständlich. Aber wir werden gehört. Und viele Gespräche finden nicht in der Öffentlichkeit, sondern hinter verschlossenen Türen statt. 

Sie sind die erste Frau an der Spitze der fünf Wirtschaftsweisen. Inzwischen gibt es mehrere. Haben Sie eine andere Herangehensweise als Ihre männlichen Kollegen?

Wir sind eine ganz neue Gruppe. Vorher war das ein eingespieltes Team mit eingespielten Routinen. Jetzt gibt es in kurzer Zeit vier neue Besetzungen. Wir müssen uns als Team erst mal finden. Uns eint aber, dass wir auf die wissenschaftliche Evidenz schauen und wir weniger nach bestimmten Schulmeinungen argumentieren. Wir gehen pragmatisch an die Themen heran und können uns jenseits von Ideologie einigen.

Sind Frauen pragmatischer als Männer?

Ich kenne auch pragmatische Männer.

Zur Person

Monika Schnitzer ist seit ist seit Oktober 2022 die Vorsitzende des Sachverständigenrates, dem sie seit April 2020 angehört und der die Bundesregierung in wirtschaftlichen Fragen berät. Sie ist Professorin für Komparative Wirtschaftsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Sie promovierte und habilitierte an der Universität Bonn und war Gastprofessorin an der Boston University, am MIT, an der Stanford University, Yale University, University of California, Berkeley, und an der Harvard University. 2006 bis 2009 war sie Dekanin der volkswirtschaftlichen Fakultät der LMU. Im Juli 2022 erhielt sie die Ehrendoktorwürde der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 

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