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27.02.2023

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6 Min.

„Die größten Sorgen sind vom Tisch“

Text:

Wirtschaftsprofessor Michael Hüther, Präsidiumsmitglied des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), erläutert im Interview mit fondsmagazin das überraschend schnelle Comeback der deutschen Wirtschaft in Zeiten von Krieg und Inflation.

Die Inflation hat 2022 im Jahresschnitt die Rekordmarke von 7,9 Prozent erreicht. Bei den Erzeugerpreisen waren es sogar 32,9 Prozent. Haben die Unternehmen die Preiserhöhung nur zum Teil an die Konsumenten weitergegeben? 

Wir reden hier von einer durch Energiepreise importierten Inflation, oder vereinfacht, von einer Teuerung. Die wirkt zunächst einmal in erheblichem Maße auf die Unternehmen, die vieles durch effizientere Produktion und durch andere Beschaffungslösungen auffangen mussten. Die Unternehmen haben je nach Markt unterschiedliche Spielräume, Preiserhöhungen an die Konsumenten weiterzugeben, und der Staat greift in die Preisbildung ein, zum Beispiel bei Beförderungstarifen. Und mittlerweile sind die Erzeugerpreise zum vierten Mal in Folge gesunken.

War die Energie der Haupttreiber bei den Erzeugerpreisen? Baustoffe zum Beispiel sind ebenfalls viel teurer geworden, und der US-Dollarkurs war ja kurzzeitig über die Marke von einem Euro gestiegen. 

Alles, was in US-Dollar abgerechnet wird, hat uns bis in den Herbst doppelt getroffen. Einmal durch den Preisanstieg bei der Energie und bei Rohstoffen, die aus dem Ausland kamen. Und dann noch durch die Abwertung des Euro. In der Spitze Ende September hatten wir den Doppeleffekt: Höchstpreise bei Gas und Öl und den schwächsten Wert des Euro gegenüber dem US-Dollar. Der Effekt der Energiepreise war erheblich. Der Anteil der importierten Teuerung lag bei zwei Dritteln.

Pandemiebedingte Störungen der Lieferketten ebben langsam ab

Grafik: KD 1

Was trieb außer der Energie und dem US-Dollar noch die Erzeugerpreise? 

Alles andere war eher sektorspezifisch. Sie haben Baumaterialien erwähnt, aber die Preise sind auch hier wieder gesunken. Der Global Supply Chain Pressure Index, ein Maß für die Anspannung in den Lieferketten, der zum Beispiel Frachtraten und Einschätzungen von Einkaufsmanagern berücksichtigt, ist seit Anfang 2022 fast kontinuierlich zurückgegangen.

Inflation ist kurzfristig schlecht für die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen. Sie brauchen Zeit, um sich an die gestiegenen Einkaufspreise anzupassen. Wer war am meisten betroffen, und wer hat sich am schnellsten erholt? 

Die isolierte Betrachtung der Inflation trägt nicht allzu weit. Wenn ich mir den Dax anschaue oder den Dow Jones, dann sind wir doch wieder auf dem Niveau, das wir vor dem Ukraine-Krieg hatten. Dominanter sind die geldpolitischen Antworten darauf. 

Geht die EZB nicht trotzdem zu zögerlich bei den Leitzinserhöhungen vor? 

Die amerikanische Notenbank ist vorangegangen, die EZB folgte in der Tat zuerst zögerlich, zu zögerlich. Sie hat aber dann den Eindruck erweckt, dass sie sich des Themas annimmt, und für März weitere 0,5 Prozentpunkte Zinserhöhung angekündigt. Ich finde, danach ist erst einmal Zeit für eine Pause und eine gründliche Analyse. Die Aktien- und die Devisenmärkte haben sich darauf eingestellt. Die professionellen Vorhersagen erwarten für 2024 eine Inflation von 2,5 Prozent und nahe 2 Prozent für 2025. 

Das klingt bei einer aktuellen Januar-Rate von 8,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat recht optimistisch.

Entscheidend war, dass es zum Jahreswechsel in der Eurozone gelungen ist, den Inflationstrend zu brechen. Und das war schwierig, weil die Notenbank eine importierte Teuerung nur um den Preis einer Stabilisierungsrezession bekämpfen kann. Sie hebt dann, um die Inflation zu stoppen, die Zinsen so weit an, dass die Wirtschaft schrumpft. Und das kann ja nicht das Ziel einer geldpolitischen Aktion in einer ohnehin wirtschaftlich herausfordernden Zeit mit Krieg und Energieknappheit sein.

Mit welcher Strategie sind die Unternehmen denn gegen die Inflation vorgegangen? Was haben sie getan? 

Die Unternehmen haben Maßnahmen vorgezogen, die sie mit Blick auf die Energieeffizienz ohnehin im Auge hatten, so etwa die Umstellung auf energiesparende Maschinen. Und wer die Produktion einschränkte, weil er mit den gestiegenen Produktionskosten kurzfristig nicht zurechtkam, sparte natürlich auch. Beispiel Energie: Vor einem Jahr hielten wir knapp 10 Prozent Einsparungen beim Gas für kurzfristig möglich. Jetzt wissen wir durch die Daten der Bundesnetzagentur, dass wir sogar 20 Prozent eingespart haben. 

Energie wird teuer bleiben. Wird es auf lange Sicht noch energieintensive Produktion in Deutschland geben? Droht uns gar eine Abwanderung der Industrie ins Ausland? 

Das Risiko ist nicht mehr so hoch wie im letzten Jahr. Im Sommer und Herbst klopften die Firmen reihenweise an den Türen der Unternehmensberater und wollten wegen der Energiepreise wissen, wie sie den Standort wechseln können. Deutschland hatte aber schon immer die höchsten Industriestrompreise in Europa. Im Grunde müssen wir die Entlastungseffekte durch den Ausbau der Erneuerbaren vorziehen. Wenn das einigermaßen läuft, sehe ich keine forcierte Deindustrialisierung.

Ist die Klimapolitik der Bundesregierung in erster Linie ein Innovationstreiber oder ein Inflationstreiber? 

Da kommt es auf den Zeithorizont an. Wir haben sehr lange wenig getan, was den Ausbau der erneuerbaren Energien angeht. Kurzfristig muss der CO2-Preis stärker steigen, um Anreize für CO2-reduzierende Investitionen zu stärken. Der kriegsbedingte Anstieg der Energiepreise wirkt ähnlich wie der CO2-Preis. Er erzeugt erst einmal einen Preisdruck, aber wenn die Anpassung dann stattgefunden hat, kommt die Entlastung. Man muss diese beiden Zeiträume auseinanderhalten. Aber kurzfristig führt die Klimapolitik zu einer „Greenflation“, also zu einem Preisniveauanstieg durch umweltpolitische Maßnahmen. 

Also ist die Energiewende inflationstechnisch betrachtet so etwas wie ein externer Schock?

Der Schock ist durch die kriegsbedingt hohen Öl-, Gas- und damit auch Strompreise vorgezogen worden. Andererseits ist es nicht so schlimm gekommen, wie man nach der dramatischen Zuspitzung im September hätte denken können. Wir dürfen nicht mit dem Niveau rechnen, dass wir mit russischem Gas gehabt hätten. Aber wir kommen zurecht. 

Hohe Inflation führt zu hohen Lohnforderungen. Zugleich haben wir Fachkräftemangel. Gibt es Branchen, die besondere Nöte haben, Personal zu bekommen oder zu halten? 

Seit 2015 ist die Lohndrift positiv. Das heißt, die tatsächlichen Bruttolöhne steigen stärker als die laut Tarif vereinbarten. Der Fachkräftemangel ist in der Breite der Volkswirtschaft angekommen, es gibt kaum Branchen ohne entsprechende Rekrutierungsprobleme. Hinzu kommen die Tarifabschlüsse. Im Kern der Industrie, also bei Chemie und Metall, laufen sie lang und sind mit vergleichsweise geringen Lohnsteigerungen verbunden. Im Schnitt der Jahre liegen sie bei Metall und Elektro bei 3,5 Prozent. Das ist, gemessen an der Inflation, die wir hatten, und bei acht Nullmonaten, nichts, was eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzt. 

Welche Branchen leiden unter dem Fachkräftemangel? 

Wir haben in allen Qualifikationen mehr offene Stellen als qualifiziertes Personal. Also muss ich über Produktivitätssteigerungen nachdenken. Betroffen sind ja nicht nur Branchen, die Mathematiker, Ingenieure, Naturwissenschaftler und Techniker suchen. Ähnlich ist die Lage zum Beispiel in der Logistik, weil keine Kraftfahrer verfügbar sind, und im Handwerk. Das heißt, der Fachkräftemangel ist kein sektorales, sondern ein volkswirtschaftliches Phänomen. Insofern geht der lapidare Hinweis, es gebe keinen Fachkräftemangel, man müsse nur die Löhne erhöhen, an der Sache vorbei. 

Ein weiteres Problem könnte der steigende Leitzins sein, dadurch wird das Fremdkapital für Firmen teurer.

Die Unternehmen sind nicht mehr so stark von Fremdkapital abhängig. Ihre Eigenmittelausstattung hat sich seit der Jahrtausendwende deutlich erhöht. Auch im Mittelstand, also bei kleineren Unternehmen, finden wir jetzt 30 bis 40 Prozent Eigenmittel. Das ist eine völlig andere Situation als noch in den 1990er-Jahren. Der Zinsanstieg ist aber schon ein Thema in der Baubranche, wo wir doppelten Druck feststellen: hohe Baupreise und steigende Zinsen. Viele Eigenheimer müssen jetzt mit fast 4 Prozent Hypo­thekenzins rechnen. Wir werden erhebliche realwirtschaftliche Anpassungen im Baubereich sehen. 

Der große Wohnungseigentümer Vonovia etwa hat angekündigt, dass er vorerst überhaupt keine neuen Wohnungen mehr baut. 

Ich glaube, da soll eine Botschaft an die Politik gesendet werden. Die Menschen ziehen ja nach wie vor in die Städte, und insofern müssten Mieten und Renditen wieder steigen. Sicher gibt es eine Mietpreisbindung im Bestand, aber nicht bei Neubauten. Es kann nicht sein, dass Vonovia keine guten Projekte im Portfolio hat, die sich weiter rechnen werden. 

Welche Auswirkung hat der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine aus Ihrer Sicht mittel- bis langfristig auf die wirtschaftliche Lage deutscher und europäischer Unternehmen? 

Zuerst einmal belastet er die Volkswirtschaft, da wir mehr Geld für Sicherheit ausgeben müssen. Auch das billige russische Gas steht nicht mehr zur Verfügung. Aber abgesehen davon ist Russland nicht unser wichtigster Exportmarkt gewesen. Auch die Anzahl der Unternehmen aus Deutschland, die in Russland investiert waren, hat sich schon seit 2008 halbiert. Und der Schock, der von der russischen Aggression ausgeht, führt dazu, dass wir unsere Energieversorgung resilienter und breiter aufstellen, dass wir angemessen in die Sicherheit investieren und dass der transatlantische Westen sich stärkt. Die deutsche Industrie ist aufgrund ihrer Wettbewerbsfähigkeit und ihrer Innovationskraft gut aufgestellt, sofern wir das energiepolitische Thema in den Griff kriegen. 

Würden Sie zusammenfassend sagen, dass wir ökonomisch schon über den Berg sind, oder kommt da noch was? 

Wenn ich das letzte Jahr Revue passieren lasse, überrascht mich die Robustheit der Märkte. Unsere Befürchtungen haben sich zum Glück nicht bestätigt. Das heißt zwar nicht, dass alle Risiken verschwunden sind, aber die größten Sorgen sind vom Tisch. Es bleibt ein Konjunkturphänomen. Und wenn wir dieses Jahr mit einer schwarzen Null beim Bruttoinlandsprodukt abschließen würden, wäre das eine durchaus frohe Botschaft. 

Zur Person

Michael Hüther, geboren 1962 in Düsseldorf, studierte von 1982 bis 1987 Wirtschaftswissenschaften sowie mittlere und neuere Geschichte an der Justus-Liebig-Universität in Gießen und promovierte dort anschließend. Nach fünf Jahren als wissenschaftlicher Mitarbeiter wurde Hüther 1995 Generalsekretär des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und leitete den wissenschaftlichen Stab des Rats. 1999 wechselte er als Chefvolkswirt zur DekaBank in Frankfurt am Main. 2001 folgte die Berufung zum Honorarprofessor an der EBS Business School in Oestrich-Winkel. Seit 2004 arbeitet er als Direktor und Mitglied des Präsidiums im arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft. Hüther engagiert sich außerdem in vielen Aufsichtsräten, Stiftungen und anderen Organisationen. Zu seinen Schwerpunkten gehören die Konjunktur-, Geld- und Steuerpolitik.

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