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31.07.2023

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7 Min.

Aus dem ewigen Leben wird nichts

Text:

Wie fällt nach dem Ende der Coronapandemie die Bilanz aus? Wo hakt es am Pharmastandort Deutschland noch immer, und wie steht es beim Stand der Forschung gegen Krebs? Professor Jochen Maas zieht im Interview mit fondsmagazin eine Zwischenbilanz.

Deutschland hat die Coronapandemie offiziell für beendet erklärt. Was verändert sich für unseren Pharmastandort?

Ich glaube, wir haben viel gelernt, aber wir haben auch schon wieder viel vergessen. Das Wichtigste, was wir gelernt haben, ist für mich, wie man ein Medikament so schnell wie möglich an den Patienten bringt. Nur zur Erinnerung: Die normale Impfstoffentwicklung dauert sieben bis neun Jahre. Im Fall von Covid waren es elf Monate.

Warum hat das so schnell geklappt?

Weil alle Beteiligten, und damit meine ich die akademische und die industrielle Forschung, die Produktion, die Politik und die Behörden, perfekt miteinander kommuniziert und praktiziert haben. Ich habe mich seither oft gefragt: Warum brauchen wir eigentlich eine Krise, um das zu schaffen?

Wir erleben derzeit eine Nach-Corona-Diskussion, in der vor allem angebliche oder tatsächliche Geschädigte der Impfungen zu Wort kommen. Gibt es da etwas aufzuarbeiten?

Ich glaube nicht, dass es besonders viel aufzuarbeiten gibt. Das wenige muss aber natürlich geklärt werden. Wenn man sich die unabhängigen Zahlen des Paul-Ehrlich-Instituts anschaut, dann hat die Impfung deutlich weniger Nebenwirkungen gezeigt als andere Impfungen. Man muss ganz klar sagen, und da stehe ich auch zu 100 Prozent dazu: Diese Impfung hat Millionen Menschenleben gerettet.

Hat die Politik nachhaltig aus der Pandemie gelernt?

Im Moment beobachte ich, dass wir im Bereich der Gesundheitsindustrie, speziell der Biotechnologie, den Anschluss verlieren könnten. Dabei ist die Biotechnologie die Disziplin, die den Standort Deutschland retten kann. So plakativ das klingen mag – Tatsache ist: Wir brauchen keine riesigen Subventionen wie eine Chipindustrie. Wir brauchen keine Seltenen Erden oder Rohstoffe wie die Batterie-Industrie. Wir brauchen eigentlich nur unsere Gehirne. Die Politik redet unendlich viel über Heizungen, erneuerbare Energien, Wasserstoff, E-Fuels und so weiter. Sie redet meines Erachtens viel zu wenig über die Chancen, die die Biotechnologie bietet.

Wo hakt es konkret?

Bis wir die Genehmigung haben, klinische Studien für ein Medikament zu machen, dauert es in Deutschland im Schnitt 250 Tage, in Frankreich 45. Und schauen Sie mal nach Schweden. Dort gibt es die elektronische Patientenkarte seit 1983. Das sind 40 Jahre. Bei uns hat eine Gesundheitsministerin namens Ulla Schmidt, an die sich der eine oder die andere vielleicht noch erinnert, schon 2003 von der elektronischen Patientenakte geredet. Jetzt haben wir 2023, und es ist nichts passiert. Österreich hat ein Impfregister, wir nicht. All das ist ein Armutszeugnis für den Digitalstandort Deutschland.

Was machen andere anders?

Da tut UK mehr, da tut Israel mehr, da tut Singapur mehr. Da tut Frankreich mehr. Paris hat eine steuerliche Forschungsförderung entwickelt, mit deren Hilfe auch Konzerne innerhalb kürzester Zeit eine Unterstützung bekommen können. Wir haben in Deutschland nach langer Diskussion auch eine steuerliche Forschungsförderung, die aber zum einen gedeckelt und zum anderen so furchtbar kompliziert ist, dass sie fast niemand nutzt. Wir reden nicht über eine Zukunftsvision für Deutschland, wir reden über Finanzierungs- und Stabilisierungsgesetze.

Muss ja auch sein …

Wir haben immer gesagt, dass wir bereit sind, unseren Beitrag zu leisten. Das heißt aber auch, dass wir verlässliche Rahmenbedingungen brauchen. Der erhöhte Herstellerabschlag, also der Zwangsabschlag auf Arzneimittel von 12 Prozent, muss, wie im Gesetz beschlossen, Ende dieses Jahres auslaufen. Es bedarf aber auch struktureller Finanzierungsreformen. Firmen, auch multinationale Konzerne, überlegen sehr wohl: Soll ich eigentlich in einem Land investieren, das mir Knüppel zwischen die Beine wirft? Und genau der Eindruck setzt sich ja fest, oder warum, meinen Sie, geht Biontech mit seiner Forschung nach Großbritannien? Warum geht Bayer in die USA? Wir fallen zurück bei den klinischen Studien. Wir sehen, dass Gentherapiestudien zu 96 Prozent in China und den USA durchgeführt werden und nicht mehr in Deutschland oder dem Rest Europas. Wir müssen aufpassen, dass wir in zehn Jahren nicht zum Disneyland für amerikanische und chinesische Touristen werden, die dann nach Deutschland und Europa kommen und sagen: „Schaut mal: So schön war das früher.“

Nennen Sie doch mal ein wichtiges Beispiel für das, was die Biotechnologie derzeit zu bieten hat.

Dazu gehören Medikamente vor allem im Bereich Immunologie und Onkologie, also der Krebsforschung. Biopharmazeutika in diesem Bereich werden noch zu ungefähr 80 Prozent in Europa erforscht und hergestellt. Wenn wir jetzt hier aber nur wieder kostengetrieben entscheiden, sind wir in fünf Jahren auch im Bereich der innovativen Arzneimittel in genau derselben Situation, wie wir es jetzt bei den Generika, den Nachahmerpräparaten, sind. Diese werden nicht mehr hier hergestellt, weswegen wir uns prompt mit Lieferengpässen herumschlagen.

Kommt die Herstellung solcher Medikamente zurück nach Europa?

In dem einen oder anderen Fall ja, generell ist das aber Wunschdenken. Lange hat man gedacht, die südostasiatischen Produzenten kriegen hochreine Biopharmazeutika nicht hin, aber natürlich schaffen sie das und ziehen eine Fabrik innerhalb eines Jahres hoch, für deren Bau wir fünf brauchen. China kann auch eine Fabrik bauen, die Insulin produziert.

Welche Punkte sprechen für den Standort Deutschland?

Wir haben ein sehr gutes System, was die Ausbildung unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angeht. Eine in unserem dualen System ausgebildete Biolaborantin ist mindestens so gut wie ein amerikanischer Pharma-Scientist. Und natürlich haben wir auch eine sehr, sehr gute Infrastruktur. Ein weiterer Pluspunkt ist die ausgeprägte Loyalität der Mitarbeitenden gegenüber ihren Unternehmen. Wenn ich mir anschaue, was in Boston passiert, was in Schanghai passiert: Da bietet eine Firma ein paar Hundert Dollar mehr, und schon sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weg. Mit Mitarbeitenden, die auch mal 15 Jahre in einer Firma bleiben, kann ich nachhaltiger arbeiten als mit denen, die acht Monate bleiben.

Welche Medikamente stecken bei Sanofi in der Pipeline?

Es gibt schon einige sehr gute Medikamente vor allem im Bereich der Immunologie, mit denen es gelingt, den Stoffwechsel so zu regulieren, dass der Körper keine allergischen Reaktionen mehr zeigt. Patienten, die völlig übersät waren mit Pusteln, haben plötzlich reine Haut. Das Wichtige an einem solchen Präparat ist, dass es mehrere Stoffwechselwege blockiert und deswegen bei vielen Autoimmunerkrankungen funktioniert. Gestartet als Therapie im Bereich Dermatologie, haben wir inzwischen eine Zulassung, um damit Nasenpolypen zu bekämpfen. Es wirkt aber auch gegen Asthma und andere extreme Formen der Kurzatmigkeit.

Wann präsentiert die Pharmaindustrie die Pille gegen Krebs?

An die Ankündigung, die der frühere Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gemacht hat „Wir werden den Krebs in vier bis fünf Jahren besiegen“, glaube ich nicht. Ich glaube, wir sind relativ weit davon entfernt, Krebs zu heilen. Aber wir sind schon ganz nah dran, viele Krebsarten zu einer chronischen Erkrankung zu machen, die nicht mehr einem Todesurteil gleichkommt, sondern mit der ich auch 15 bis 20 Jahre mit wechselnden Medikationen bei einem guten Allgemeinzustand leben kann. Der absolut radikale Durchbruch in der Krebstherapie wird nicht über Nacht kommen, sondern eher in kleineren Schritten.

Aber sitzt der Impfstoffhersteller Biontech nicht an vielversprechenden Forschungen?

Was ganz wichtig und auch der Ansatz ist, den Biontech verfolgt, ist eine individualisierte Krebsbehandlung. Mit anderen Worten: Es wird nicht mehr ein Medikament für eine riesige Gruppe von Menschen geben, sondern eine spezifische Medikamentenkombination für einen Patienten.

Wie geht das?

Eigentlich ist das ein ganz einfacher Ansatz: Man untersucht den Tumor eines Patienten und vergleicht ihn mit dem gesunden Teilen. Dann versucht man, über verschiedene Kombinationen von Messenger-RNA mithilfe des Immunsystems genau den Tumor des Patienten zu bekämpfen. Und zwar den und nicht den von Patient Nummer zwei, der mit der gleichen Krebsart im gleichen Organ im Wartezimmer sitzt. In Wahrheit ist sein Tumor nämlich zu 98 Prozent anders als der von Patient Nummer eins, und ich brauche eine ganz andere Medikamentenkombination. Wenn wir so weit kommen, dann glaube ich, können wir die meisten Krebsarten zur komplett chronischen Erkrankung machen.

Wie weit ist die Forschung da?

Es gibt schon eine ganze Anzahl Medikamente, die in der Phase 3 stecken, also unmittelbar vor der Zulassung. 2024 oder 2025 können wir mit ihnen rechnen.

Das wäre doch ein medizinischer Durchbruch!

Es funktioniert nicht bei allen Krebsarten. Der Bauchspeicheldrüsenkrebs ist so ein typisches Beispiel. Er ist bisher oft einfach nicht rechtzeitig zu diagnostizieren. Aber auch da geht die Wissenschaft wesentlich weiter, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir schon innerhalb der nächsten Jahre Lösungen sehen werden.

Sie sprechen von der individuellen Therapie für jeden Patienten. Ist diese Therapie unter Kostengesichtspunkten realisierbar?

Das fragen sich derzeit alle. Es gibt natürlich keine Skaleneffekte, wenn die Population im Endeffekt gleich eins ist. Wir brauchen neue Bezahlmodelle, um am Ende nicht in eine Zweiklassenmedizin abzugleiten, die ja hier kein Mensch will.

Wie könnte so ein Bezahlmodell aussehen?

Da wird einiges diskutiert, etwa ein Performance-Ansatz. Also dass die Kosten eines Medikaments nur erstattet werden, wenn es tatsächlich wirkt. Aber da kommt natürlich sofort die Frage auf, was eigentlich ein Erfolg ist. Wenn der Patient ein Antibiotikum erhält und nach zehn Tagen gesund ist – okay, dann hat das Medikament gewirkt. Wenn ich aber ein Präparat habe und der Patient hat drei Monate Lebensverlängerung unter schlechten Bedingungen, ist das dann auch ein Erfolg? Wir brauchen hier noch Ideen.

Wo sehen Sie sonst noch Durchbrüche in der Forschung?

Es gibt einen Forschungszweig, den die wenigsten sehen, in dem sich aber viel tut: Das sind die seltenen Erkrankungen. Davon gibt es mehrere Tausend, aber bislang sind nur 80 behandelbar. Inzwischen tut sich da aber viel, es sieht nur niemand, weil es eben so wenige Patienten gibt.

Ist da die Frage nach den Kosten nicht noch schwieriger zu beantworten?

Das ist ein ganz anderes Geschäftsmodell für Pharmafirmen. Wenn Medikamente bei seltenen Erkrankungen die Patienten wirklich retten können, werden für eine Therapie auch hohe Behandlungskosten pro Jahr erstattet. Und dann lohnt sich die Forschung eben auch, ganz abgesehen davon, dass sie sich für die Patienten sowieso immer lohnt, wenn etwas Gutes dabei herauskommt.

Und wann kommt die Pille fürs ewige Leben?

Wissen Sie, wer sich um solche Fragestellungen intensiv kümmert?

Nein, wer denn?

Der Facebook-Konzern. Meta hat ein Budget von mehreren Milliarden Dollar für die Erforschung der Lebensverlängerung. Nur: Eigentlich hat die Wissenschaft auf diesem Gebiet bisher nichts erreicht. Es gibt zwar signifikante Fortschritte bei der Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung. Sie steigt seit Jahrzehnten und beträgt in der Zwischenzeit 88 Jahre für Frauen und 84,2 Jahren für Männer. Aber schauen Sie mal auf die Lebensspanne eines einzelnen Menschen. Sie liegt nach wie vor bei maximal 120 Jahren. Das gab es aber auch im Mittelalter schon, angeblich hat Michelangelo den David im Alter von 88 gemeißelt. Es gab auch damals schon sehr alte Menschen, und wir sind in Wahrheit keinen Schritt weitergekommen.

Auch die Facebook-Forscher nicht?

Bei Meta sind zwar esoterische Ansätze wie Einfrieren dabei, aber es gibt auch ganz ernst zu nehmende Untersuchungen etwa im Bereich der Stammzellen-Transplantation. Zumindest im Tierversuch konnte so bei Mäusen tatsächlich eine Lebensverlängerung erzielt werden. Es tut sich also etwas, aber ich rechne frühestens 2040 oder 2045 damit, dass wir das auf dem Markt sehen.

Sehen wir zu, dass wir es erleben … Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Professor Maas.

Zur Person

Prof. Dr. Jochen Maas ist Biologe und Veterinärmediziner (Universitäten Heidelberg, München und Zürich). Seit Oktober 2010 ist er Geschäftsführer Forschung & Entwicklung der Sanofi-Aventis Deutschland GmbH. Als Head Research & Development (R&D) Germany leitet Maas (Foto: Sanofi-Aventis) eines von vier weltweiten integrierten Forschungs- und Entwicklungszentren von Sanofi und ist Mitglied des globalen Leitungsteams.

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