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27.08.2023

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4 Min.

Chinas neuer Blickwinkel

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Das Reich der Mitte steckt in einem Strukturwandel - und muss sich zugleich kritischeren Blicken und abgekühlten Beziehungen ausländischer Partner stellen. Das eröffnet aber auch  Chancen auf neue Beziehungen gerade zu Europas Unternehmen. 

Yiyang schmeckt lecker – und verspricht ein langes Leben. Chinas Seniorinnen und Senioren lieben das mit Vitaminen, Calcium und anderen Mineralien angereicherte Milchpulver. Angerührt mit Wasser ist es ein Verkaufsrenner in der alternden Gesellschaft des Riesenreiches. Allein im vergangenen Jahrzehnt hat sich der Absatz mehr als verzehnfacht.

Für Hersteller Nestlé ist Yiyangs Erfolg kein Einzelfall: China ist längst der zweitgrößte Markt des Konzerns mit einem jährlichen Umsatz von umgerechnet mehr als 7 Milliarden Euro. Hunderte Millionen haben die Schweizer in den letzten Jahren in neue Produktionsstätten, Firmenzukäufe und Produkte investiert. Mit Erfolg – ein guter Teil der Dividenden, die Nestlé Jahr für Jahr ausschüttet, entsteht „Made in China“.

So wie bei Nestlé ist der Faktor China für viele Unternehmen Europas wichtig. Ob bei Textilriese H&M, Bankkonzern BNP, Versicherer Allianz oder Autobauer Volkswagen: Der gute Name von Europas Produkten zieht nach wie vor im Reich der Mitte, und auch als Produktionsstätte sind die Fabriken zwischen Harbin und Zhanjiang ein Erfolgsfaktor.

Gerade VW muss derzeit mit der Transformation zu Elektroantrieben kämpfen. In China kommen die Fahrzeuge mit Akkus nihct so gut an wie die Verbrenner. Ihre Marktführerschaft haben die Wolfsburger deswegen an den heimischen BYD-Konzern verloren. Doch Volkswagen ist auch ein gutes Beispiel für die öffentlich teils schon wieder überschätzte Bedeutung des chinesischen Marktes: Zwar verkauft Europas größter Autokonzern dort immer noch rund 40 Prozent aller gebauten Fahrzeuge. Aber zum Umsatz tragen die Stückzahlen weniger als 15 Prozent bei, sagt Mikko Huotari. Der Direktor des Mercator Institute for China Studies sieht darum nicht, dass Europa einseitig von China abhänge: „EU- und US-Markt sind immer noch bei Weitem wichtiger.“ Im Angebotsmix sei China relevant, zugleich seien aber auch europäische Produkte für die Auslastung der Wirtschaft in China selbst entscheidend. Auf Millionen Arbeitsplätze und Milliarden Steuereinnahmen können Pekings ökonomisch Verantwortliche nicht verzichten.

China bleibt ein wichtiger Markt

Die Weltwirtschaft mache sich ohnedies gerade unabhängiger von China, so Huotari. „Es gibt generell eine gute Entwicklung hin zum Reduzieren von Abhängigkeiten.” Die Coronakrise und ihre Folgen haben Bemühungen vorangetrieben, die Lieferketten nicht mehr einseitig auf weit entfernte Partner auszurichten. „Wir erwarten, dass sich sehr viele Unternehmen ihre globalen Lieferketten anschauen und lokalere Strukturen aufbauen“, sagt der McKinsey-Experte für Produktion und Lieferketten, Knut Alicke. Der Trend, in der Region für die Region zu produzieren, verstärke sich. Zudem dürften die Lagerbestände größer werden. Auch bei der Versorgung mit seltenen Erden und kritischen strategischen Gütern wie Medizinprodukten oder Halbleitern werden eifrig Alternativen vor der Haustür gesucht oder aufgebaut.

China bleibe aber dennoch ein wichtiger Markt – und Lieferant. Nur die Euphorie sei deutlich abgeflaut. „Die Unternehmen selbst sind auch sensibler geworden“, hat Direktor Huotari in zahlreichen Gesprächen erfahren. Auch gegenüber politisch bedenklichem Handeln. Gerade erst ist das in Fragen der Menschenrechte wieder durch den Umgang mit der Minderheit der Uiguren ins Bewusstsein gerückt. Zwar betont Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie: „Wenn wir nur in liberalen Demokratien Geschäfte machen wollen, dann wird die Welt für das Exportland Deutschland sehr eng.” Aber fast alle großen börsennotierten Unternehmen Europas setzen sich klare Selbstverpflichtungen bei ihrem Handeln – auch und gerade in China. Beispielsweise durch Selbstverpflichtungen auf die Maßstäbe zum ökologischen, sozialen und ethischen Handeln (ESG), wie sie das Uno-Abkommen von Paris und andere EU-Vereinbarungen definiert haben.

Dazu kommen teils auch politische Vorgaben wie die Lieferkettengesetze in Deutschland oder auf europäischer Ebene. Und nicht zuletzt schauen auch vorausschauende Investoren wie die Deka auf die Einhaltung der Nachhaltigkeitsziele. Markus Jerger, Bundesgeschäftsführer des Verbandes der mittelständischen Wirtschaft, betont: „Politik und Wirtschaft werden nicht umhinkommen, China einer gewissenhaften Prüfung zu unterziehen.“

Chinesische Firmen wie Huawei, Nio oder Tik-Tok müssen deshalb bei Arbeitsbedingungen, Umweltschutz oder fairem Wettbewerb nach europäischen Regeln spielen, wenn ihre Produkte oder Dienstleistungen in Europa angeboten werden. Denn auch China kann es sich trotz des großen Heimatmarktes nicht leisten, ähnlich wie derzeit Russland zum Paria auf den Weltmärkten zu werden. Zumal der Druck auch in China groß ist, wieder im Weltmaßstab auf Wachstumskurs zu gehen.

Denn Chinas Wirtschaft ist weiter außer Tritt - Importe und Exporte sind zuletzt merklich eingebrochen. Die Deka-Volkswirte analysieren, dass das Wachstum

deutlich hinter den Erwartungen zurückbleibt. „Die Regierung hat erkannt, dass sich die Wirtschaft in schwacher Verfassung befindet und vor allem unter der Schwäche des Immobilienmarkts leidet." Doch die bislang angekündigten Schritte zur Ankurbelung der Nachfrage nach Immobilien und Konsumgütern seien graduell und von der Angst geprägt, durch neue Schulden die Probleme lediglich in die Zukunft zu verlagern. Die schwache Wirtschaftsentwicklung im zweiten Quartal und die Zögerlichkeit der Regierung hätten dazu geführt, „dass wir unsere BIP-Prognose für 2023 von 5,6 % auf 5,3 % gesenkt haben", so die Experten. 

Wohlstand als gesellschaftlicher Kitt

An dynamischem Wachstum aber geht grundsätzlich nichts vorbei für Pekings Staatsführung. Steigender Wohlstand ist schließlich das zentrale Versprechen, dass mögliches Murren im Lande in Grenzen hält. Die Regierung hat auch darum ein Paket von 33 Konjunkturmaßnahmen in Gang gesetzt – mit Infrastrukturinvestitionen, erleichterter Kreditvergabe, Steuersenkungen und Konsumanreizen. 

Das Konjunkturprogramm ist gut für die Wirtschaft in China und  die der ausländischen  Partnerfirmen  und  Investoren.  Die Kauferleichterungen für Autos, billige Kredite oder Steuersenkungen werden im Effekt auch Europas Unternehmen eine Sonderkonjunktur  bescheren  –  und  damit  allen,  die  einen  Teil  ihres Vermögens in die Zukunft Chinas investieren.

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