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29.03.2021

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5 Min.

Virtuelle Treffen, reale Schwierigkeiten

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Die Welt steht vor nachhaltigen Veränderungen: Viele Regierungen und Gesellschaften orientieren sich neu – und das zeigt sich auch in Wirtschaft und Finanzmärkten. Wie in einem Brennglas fokussiert sich die Entwicklung in der diesjährigen Hauptversammlungs-Saison.

Es gibt sie noch, die ganz realen Massenveranstaltungen: Mehr als 3.000 Menschen kommen in einer riesigen Halle zusammen, die Chefs sitzen leibhaftig in der Front und ziehen Bilanz. Die Kennziffern hören sich so außergewöhnlich an, wie die ganze Veranstaltung daherkommt: Im Jahr 2020 gab es rund 2 Prozent Wachstum, während alle Rivalen tief in den roten Zahlen stecken. Da klatschen die Massen und geben den Chefs wie gewohnt Rückendeckung.

Nein. Wir reden nicht von einer klassischen Aktionärsversammlung, wie sie jahrzehntelang üblich war – in Deutschland, Japan oder den USA wird es solche Hauptversammlungen (HVs) pandemiebedingt auch 2021 wohl eher nicht geben. Unsere Szene spielt in Peking, auf dem Volkskongress der Kommunistischen Partei Anfang März. Hierzulande sind dagegen die meisten Anleger großer Aktiengesellschaften auch im zweiten Jahr der Pandemie an den heimischen Bildschirm gefesselt. Immerhin ist die Teilnehmerzahl laut der Berater von Barkow-Consulting sogar höher als bei Präsenzveranstaltungen mit Anreise – gleiche Rechte wie in der Realität gibt es aber nicht. Siehe auch hier

Dividenden: Versicherer zahlen am meisten

Grafik: KD1

Ingo Speich nimmt die Art und Weise, wie die virtuellen Hauptversammlungen laufen, daher auch nur ungern hin. Der Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance bei Deka Investment moniert vehement die eingeschränkten Diskussionsrechte auf den distanzierten Aktionärsversammlungen. Da habe sich seit dem Lockdown vor einem Jahr „zu wenig getan” – Reaktionsmöglichkeiten auf die Managementreden seien beispielsweise weiter nicht möglich. Schlecht für die Aktionärsdemokratie.

Da ist es auch wenig tröstlich, dass wenigstens die Zahl der vorher eingereichten Fragen bei den bisherigen HVs deutlich zugenommen hat. Echter Dialog fehlt – und wäre doch oft wichtig, um das Management in eine substanziell erfolgreichere Richtung zu bewegen. Denn darum geht es Deka-Vertreter Speich: „Wir kritisieren konstruktiv, aber auch klar. Denn wir wollen ja den nachhaltigen Erfolg der Firmen, in die wir für unsere Anleger investieren.” Gerade in dieser Hinsicht seien aber nicht alle Weichen überall gut genug gestellt.

Im Vordergrund steht dabei der Umgang der Vorstände mit der Pandemie. Corona hat vielerorts das Geschäft weitgehend zum Erliegen gebracht. Zwar gab es auch Unternehmen wie den Online-Kochpaketversender Hello Fresh, der wegen Lockdown und Homeoffice eine Sonderkonjunktur erlebte. Viele Unternehmen konnten aber solche Chancen nicht nutzen, weil ihr Produkt nur in der realen Welt funktioniert. Beim Reiseveranstalter TUI etwa ist der Umsatz um 58 Prozent eingebrochen, der Verlust hat sich auf 3,1 Milliarden Euro angehäuft. Da musste sogar der Staat das Unternehmen stützen.

Auch darum wird es 2021 nicht ein weiteres Jahr der Rekord-Dividenden geben – selbst wenn die bisherigen Bilanzen in dieser Hinsicht besser ausfallen als gedacht. Siehe dazu auch das Interview und Fondsporträt.

Die meisten Firmen müssen ihre Gewinnbeteiligungen für 2020 aber kürzen, manche sogar streichen. Viele Redner bei den bisherigen virtuellen Treffen, etwa bei Siemens, Volkswagen oder Infineon, haben da durchaus Verständnis. „Die Dividende ist ja eine Gewinnbeteiligung – und wenn der Gewinn coronabedingt kleiner ist, dann gilt das eben auch für die Dividende”, so Speichs Kollegin Vanessa Golz. Aktuelle Zahlen belegen, dass gerade in der Reise- und Touristikbranche die Dividende mangels Gewinnen kräftig eingeknickt ist. Bei Firmen wie eben TUI oder Lufthansa ist zudem inzwischen der Staat zur Rettung eingestiegen – verbunden mit der Zusage des Managements, die Dividende ausfallen zu lassen. Die Sanierung geht vor.  

Corona enthüllt strategische Defizite

Weniger Verständnis für solche Kürzungen haben die Aktionärsvertreter, wenn die Coronakrise nur wie ein Anlass zur Dividendenkürzung erscheint – oder keine klare Zukunftsstrategie für die Zeit nach der Pandemie erkennbar ist. Denn gerade die Herausforderungen der Pandemie legen schonungslos strategische Defizite offen. Hat das Management zuvor einfach nur das Tafelsilber verkauft, um die Bilanz aufzuhübschen oder Löcher zu stopfen? Wurde das Digitalgeschäft verschlafen? Der Klimaschutz vernachlässigt? Fehlt die klare Ausrichtung des Konzerns auf Segmente mit Zukunftspotenzial? Solche Versäumnisse bestanden oft schon vor der Coronakrise; der Kunde bestraft sie durch schwindende Nachfrage – und darunter leidet im Endeffekt auch der Börsenwert. Aktionärsvertreter haben solche Versäumnisse in den HVs in die Debatte gebracht – und auch zur Abstimmung.

Kritik der Anleger hat oft positive Folgen

Deutliche Kritik trägt oft zumindest mittelfristig zum Umdenken bei – wie das Beispiel Siemens belegt. Auch wegen der Einflussnahme der Anteilseigner hat sich der Konzern kräftig gewandelt: Bereiche wurden abgespalten, die Einnahmen daraus in Investitionen auf Zukunftsthemen konzentriert. „Ohne die Umbauprogramme wäre die Siemens-Aktie bei 10 Euro“, hat der scheidende Konzernchef Joe Kaeser auf der HV Bilanz gezogen. Heute steht Siemens bei mehr als 130 Euro.

Andere Unternehmen haben lange vor einem solchen Umbau zurückgeschreckt – bei Volkswagen etwa drängt die Deka seit Jahren auf mehr Tempo bei umweltfreundlichen Antrieben. Unternehmenschef Herbert Diess hat nun kurz vor der HV angekündigt, noch schneller auf rein elektrische Fahrzeuge umzuschwenken und „sechs eigene Zell-Fertigungen in Europa aufzubauen“. Die Börse goutiert die nachhaltigen Pläne. Und den Aktionären wird es auf der VW-Hauptversammlung Ende Mai wohl auch gefallen. Denn eine Untersuchung der Universität Oxford zeigt: Mit klaren Kriterien sind nachhaltig agierende Firmen erfolgreicher. 88 Prozent der von den Briten ausgewerteten 200 Einzelstudien belegen das.

Angesichts solcher Fakten, Zahlen und Erfolge kontinuierlicher Überzeugungsarbeit lassen die Aktionärsvertreter nicht locker: Vanessa Golz etwa dringt bei Infineon darauf, die Nachhaltigkeitsziele auch für die Kette der Rohstoff- oder Vorprodukte-Lieferanten des Chipherstellers zu definieren. Ihr Kollege Winfried Mathes fordert auf der HV von Siemens Energy, nicht nur Kosten zu optimieren, sondern stärker auf erneuerbare Energien zu setzen. Was das nachhaltige Umdenken sicher fördert: Klimaschutz, digitale Zeitenwende oder Menschenrechte bei den Zulieferern, diese Aspekte werden inzwischen auch Teil der Vergütungssysteme für das Management. Gesetzgeber auf unterschiedlichen Ebenen der EU oder Deutschlands haben dazu bereits zahlreiche Regeln aufgestellt – die wichtigste dabei: die zweite Aktionärsrechte-Richtlinie der EU von 2019. Dadurch hat der Staat die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen auch in der Vorstandsvergütung verankert.

Wir wollen den nachhaltigen Erfolg der Firmen, in die wir investieren.

Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance bei Deka Investment

Aktionärsvertreter wie Speich drücken bei den HVs aufs Tempo bei der Umsetzung. Ein Schwerpunkt der diesjährigen Redebeiträge ist es daher, die Firmen zu ermutigen, ihre Gehaltssysteme durch nachhaltige Leistungskomponenten zu modernisieren. Es geht eben beim Erfolgsnachweis für den Erfolg eines Managers „nicht nur um den Gewinn des nächsten Quartals – oder bis zum eventuell nahenden Vertragsende eines Vorstands”, so der Deka-Vertreter.

Wer sich auf Langzeitziele wie das Pariser Klimaabkommen verpflichtet und dazu konkrete Unternehmenskennzahlen etwa zum CO2-Ausstoß bis 2025 verabschiedet, der sorgt damit für langfristige Zukunftskraft. Firmen wie Siemens, Amazon, SAP oder Microsoft haben sich sogar schon verpflichtet, bis Mitte des Jahrhunderts alles unternehmerische Handeln mit einem CO2-Fußabdruck der Schuhgröße null zu erreichen. Und auch bei der Korruptionsbekämpfung, Förderung von Chancengleichheit oder Antidiskriminierung gehen viele Unternehmen voran.

Dahinter steckt die Erkenntnis: Das ist immer mehr Regierungen, Bürgern und auch Anlegern wichtig. Wer den nötigen Wandel verschleppt, in Segmente ohne Zukunft investiert oder keine tragfähige Langfriststrategie klarmacht, der muss sich auch bei den kommenden Hauptversammlungen auf kritische Fragen der Aktionärsvertreter gefasst machen.

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