"Corona war eine Schockwelle der Virtualisierung"

Laurent Burdin ist Gründer und CEO des Innovation Labs Space and Lemon GmbH (Hamburg, Berlin) - spezialisiert auf Trendscouting und Entwicklung neuer Interfaces. Er berät zahlreiche große europäische Firmen zu den Themen Digitalisierung, künstliche Intelligenz und digitale Geschäftsmodelle. Sein Motto: “Immer vorn in der Welle der Trends”.

Ihr Vortrag beschäftigt sich mit einer virtuellen Geschäftswelt. Was macht eine Geschäftswelt virtuell?
Laurent Burdin: Das Gegenteil von “physisch”. In allen Bereichen der Geschäftswelt werden bekannte physische, analoge Prozesse digitalisiert und daher virtualisiert. Konkret: Keine physischen Meetings, sondern Videokonferenzen. Kein langes Ausfüllen einer Excel-Tabelle, sondern ein Roboter, der es macht. Kein lästiges Warten im Call-Center, sondern ein Bot. Kein Konzert in einer Halle, sondern ein Live-Stream. Kein Gang durch Ikea, sondern eine App, um 3D-Bilder zuhause zu platzieren. Kein Autoschlüssel, sondern NFC auf dem Smartphone. Das geht hin bis zu virtuellen Währungen, über die so präsent in den Nachrichten berichtet wird.

Laurent Burdin


 Gründer und CEO des Innovation Labs Space and Lemon GmbH 

Wurde diese Virtualität von Corona beschleunigt oder war der Trend schon vorher da?
Burdin: Das war eine Schockwelle der Virtualisierung - so konnte auch das Geschäft gerettet werden. Virtualität in diesem Maß hat nur mit dem Corona-Kontext zu tun. Wir sprechen hier nicht über “Digitalisierung”, die war schon vorher im Gange. Wir sprechen über den Zwang, physische Prozesse ins Virtuelle zu übertragen. Die technologischen Möglichkeiten gab es bereits: Cloud-Kapazitäten für Video-Konferenzen, Robot Process Automation für virtuelle Aufgaben, Sprach-Software für Bots, Augmented Reality Tools für 3D-Bilder und Übertragung ins Virtuelle. Nun kreuzt der Trend “Virtualisierung” den anderen Trend, “Automatisierung”. Und auf einmal werden diese Trends zur Priorität bei vielen Großunternehmen, um effizienter zu werden. Vor allem in der Finanzbranche.
Was ist wichtig, um in den virtuellen Welten bestehen zu können? Welche Werte und Technologien zählen hier?
 
Burdin: Das Wichtigste ist, diese neue Welt zu kennen und einzuordnen; das mache ich während der Deka Innovation Days. Und wo die virtuelle Welt herkommt, nämlich aus den unglaublichen Entwicklungen des Gamings. Da entstehen die “Ressourcen” für die virtuelle Welt. Die Prozessoren (Nvidia), die Plattformen (Unreal Engine), die Anwendungen (Live-Streaming / Gaming), die Investitionen (Microsoft, Epic Games, Facebook und Venture Capital). Wichtig ist die Einstellung dazu: Daran glauben, dass alles virtualisierbar ist - dann wird es auch Realität.
 
Welche Chancen und Risiken bergen denn die virtuelle Geschäftswelt in ihren Augen?
Burdin: Viel mehr Chancen als Risiken. Chancen für eine Arbeitswelt, die flexibel ist - ohne virtuelle Anwendungen gibt es kein Homeoffice. Chancen für Unternehmen in der Automatisierung - warum können nicht Roboter lästige Aufgaben übernehmen? Chancen für die Industrie - die Automobilbauer werden Cockpit und Fahrleistung vor allem virtuell testen und nicht mehr auf verpesteten Teststrecken. Chancen für Studenten, die auf der ganzen Welt Zugang haben zu jeglichem Wissen und Kursen.
 
Risiken sind die Unwissenheit und die Antihaltung gegenüber dem Digitalen (in Deutschland leider übermäßig verbreitet) und die Komplexität dieser neuen Welt, welche enorm gewachsen ist.