„Die Wachstumsaussichten der Weltwirtschaft haben sich nicht fundamental geändert“

Die neue US-Regierung als globale Herausforderung, die deutsche Wirtschaft als Sanierungsfall: 2025 wird ein Jahr der Weichenstellungen. Deka-Chefvolkswirt Dr. Ulrich Kater prognostiziert im Interview instabile Zeiten.

Das Pressegespräch der Deka-Volkswirte fällt in diesem Jahr in eine unruhige Zeit: Das Ergebnis der US-Wahl, die Regierungskrise in Deutschland und die Verunsicherung auf Investorenseite bestimmen die Lage. Wie bewerten die Experten dieses Umfeld – und was prognostizieren sie für 2025? Chefvolkswirt Dr. Ulrich Kater gibt im Interview einen Ausblick.
Portrait von Deka-Chefvolkswirt Dr. Ulrich Kater

Dr. Ulrich Kater

Chefvolkswirt der Deka

Die US-Wahl endete mit einem Paukenschlag – dem klaren Votum für eine neue Präsidentschaft Trumps. Wie schätzen Sie die ökonomischen Konsequenten ein?

Dr. Ulrich Kater: Amerika hat ohne Störungen gewählt – allein das war für Wirtschaft und Finanzmärkte zunächst ein Grund zur Erleichterung. Jetzt müssen wir uns um die Konsequenzen kümmern. Das ist gar nicht so einfach, denn die Wirtschaft wird nur darauf reagieren, was Trump tut, nicht was er sagt oder mal gesagt hat. Wir haben ein mittleres „Szenario der Grausamkeiten“ durchgerechnet. Und da kommt raus, dass sich die Wachstumsaussichten für die US- und die Weltwirtschaft nicht fundamental ändern sollten. 
Die eigentlichen Probleme einer erneuten Trump-Ära liegen weniger in der Ökonomie als in der Innen- und Geopolitik. Mit beiden Kammern des Senats im Rücken kann Trump viele seiner wirtschaftlichen und innenpolitischen Pläne durchsetzen. Allerdings ist Trump von einer Aura der Unberechenbarkeit umgeben. Das dürfte die Finanzmärkte in den kommenden Wochen stark bewegen, und wir müssen uns wohl in den nächsten Monaten auf häufigere Prognoserevisionen einstellen als sonst.

Für Europa bedeuten die nachlassenden transatlantischen Verbindungen die größte wirtschaftliche und politische Herausforderung – eine Aufgabe, von der alles andere als sicher ist, dass sie gemeistert werden kann.

Müssen die Konjunkturprognosen für die USA jetzt fundamental angepasst werden?

Kater: Nein, die wesentlichen Trends waren schon vor Trump am Werk. Die USA sind führend in wichtigen Zukunftstechnologien wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz – und haben nicht zuletzt den größten Kapitalmarkt der Welt. Tendenziell ist jetzt mit weiteren unternehmensfreundlichen und wachstumsfördernden Impulsen zu rechnen, die für eine weiterhin dynamische US-Wirtschaft sorgen. Unmittelbar, also im nächsten Jahr, negativ sind ganz klar neue Zölle, und zwar für das Wachstum sowohl in den USA als auch in Europa. 
Deka-Chefvolkswirt Dr. Ulrich Kater in Gesprächssituation
Die tatsächlichen wirtschaftlichen Folgen seiner Agenda werden sich aber erst über Jahre hinweg zeigen: Möglich sind zum Beispiel eine Aufteilung der Weltwirtschaft in zwei Blöcke oder sogar ein Zollkrieg zwischen allen Ländern. Wir stehen also möglicherweise wirklich vor einer politischen und ökonomischen Zäsur. Für Europa bedeuten die nachlassenden transatlantischen Verbindungen die größte wirtschaftliche und politische Herausforderung – eine Aufgabe, von der alles andere als sicher ist, dass sie gemeistert werden kann.

Was bedeutet das für die deutsche Wirtschaft? Deutschland befindet sich ja gerade in einer umfassenden Krisensituation.

Kater: Ja, und die wird angesichts der globalen Instabilitäten nicht einfacher. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist aktuell in vielerlei Hinsicht ein Sanierungsfall. Da ist die Automobilindustrie nur ein Symptom, aber noch längst nicht die ganze Krankheit. Dabei ist es mittlerweile kein Diagnoseproblem mehr, sondern ein Therapieproblem. Die Diagnose über die Hemmfaktoren am Standort Deutschland lauten: Zu hohe Kosten für Arbeit, Energie und Bürokratie, eine zu hohe Steuer- und Abgabenbelastung, eine verfallende analoge und eine unzureichende digitale Infrastruktur sowie der demografische Wandel, der Arbeitskräfte knapp werden lässt. Gegen diese vielfältigen Schwachstellen in der deutschen Volkswirtschaft hilft wirtschaftspolitisch nur ein breites, kohärentes Gesamtpaket, das die Angebotsbedingungen in Deutschland systematisch und durchgreifend verbessert. Die Frage lautet nur, ob die Gesellschaft zu dieser Kraftanstrengung bereit ist.