Schöne neue Investitionswelten: Kryptowährungen

Standpunkt-Artikel von Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, in der neuen Ausgabe der Absolut|performance.

Die Blockchain ist eine Lösung für das Problem, wie Akteure, die sich gegenseitig nur bedingt vertrauen können (also der Normalfall in der Wirtschaft), gemeinsam Daten verwalten können, ohne diese Aufgabe einer Zentralinstanz zu übertragen. Denn die Blockchain ist ein dezentrales System, das gegen Betrug und Manipulation geschützt ist. Damit einhergehend verfügt sie über die Eigenschaft, dass Informationen nicht gleich komplett untergehen, wenn beispielsweise ein Zentralrechner Schaden nimmt. Das ist in einer Zeit, in der IT-Sicherheit immer wieder attackiert wird, durchaus attraktiv. Weiterhin könnte die Blockchain ein System sein, das die Prozesse schneller, effizienter und damit billiger darstellen kann, als Banken, Behörden oder allgemein zentrale Administratoren dies gegenwärtig leisten. Zwar ist gerade dieser letzte Aspekt ausgerechnet bei Bitcoin, der Urform der Blockchain-Anwendungen, nicht umgesetzt worden, weil diese Anwendung eher schwerfällig und energieintensiv ist. Bei geeigneter technischer Ausgestaltung können aber deutlich effizientere Blockchain-Systeme konstruiert werden.

Die Blockchain-Technologie ist, entstehungsgeschichtlich betrachtet, eine Innovation, die bewusst als Alternative zu etablierten Systemen von Wertübertragungen angedacht war. Veröffentlicht in den Wirren der Finanzkrise 2008, fand die erste und prominenteste Anwendung der Blockchain, der Bitcoin, sehr schnell Unterstützung bei denjenigen, die auch ohne Finanzkrisen staatlichen Organisationen gegenüber skeptisch eingestellt sind. Bei sehr vielen Befürwortern von Bitcoin etwa gehört die ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Institutionen zum Wesenskern des Projekts Bitcoin. Erst in der letzten Zeit sind mehr und mehr die geschäftlichen Möglichkeiten der dem Bitcoin zugrunde liegenden Basisinnovation in den Mittelpunkt gerückt: Das Vertrauen in eine „bombensichere“ Aufzeichnung von Daten ohne Zentralinstanz setzt mittlerweile zunehmend unternehmerische Kräfte frei. Unter den bestehenden Blockchain-Systemen ist insbesondere die Ethereum-Blockchain so konstruiert, dass sie öffentlich zur Verfügung steht und damit von potenziell sehr vielen Verwendern zum Aufbau von Registern bzw. von neuen Blockchain-Anwendungen verwendet werden kann. Das hat dazu geführt, dass mit diesem Werkzeugkasten bis heute bereits zahllose Geschäftsmodelle entstanden sind, die schon jetzt Nutzen und damit Nachfrage sowie Erträge generieren.

Die Blockchain als Währung

Dabei stellt gerade der Bereich, durch den die Blockchain mit Bitcoin populär geworden ist, die Währungsfunktion, eines der weniger zukunftsträchtigen Anwendungsfelder der Blockchain dar. Eine wesentliche Motivation zur Schaffung dieser alternativen Währungen basiert auf dem Misstrauen gegenüber den etablierten „Papiergeld“-Währungen. Diese durch die Finanzkrise weiter befeuerte Skepsis gegenüber offiziellen Währungen ist nach wie vor in der Krypto-Fangemeinde ein wichtiges Argument. Als Begründungen werden unter anderem die „ultralockere” Geldpolitik der Zentralbanken und die weltweit stark gestiegenen Staatsverschuldungen angeführt. Viele rechnen mit galoppierender Inflation, Schuldenschnitten und Schlimmerem. Somit haben sie kein Vertrauen mehr in die „offiziellen“ Währungen.

Dr. Ulrich Kater

Seit 2004 Chefvolkswirt der Deka Bank und ab 2006 Vorsitzender des Beirates für Wirtschaftsfragen im Verband Öffentlicher Banken

Gerade der Angst vor unkontrolliertem Wertverlust kommt das Bitcoin-System durch seine quantitative Begrenzung entgegen: Die Anzahl der umlaufenden Bitcoins ist in dem zugrunde liegenden Programmcode auf insgesamt 21 Millionen Stück festgelegt. Die dahinterstehende Idee lautet, über die Begrenzung der „Geldmenge“ das Risiko einer Inflation aufgrund von starkem „Geldmengenwachstum“ zu verhindern. Eine Eigenschaft, die an das frühere Goldwährungssystem erinnert, dem viele wegen seiner (vermeintlichen) Stabilitätseigenschaften hinterhertrauern. Abgesehen davon, dass es auch während des Goldsystems Banken- und Finanzkrisen gegeben hat, wird dabei übersehen, dass die Inflationsstabilität des Goldwährungssystems mit Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Aktivität erkauft wird.

Die Stabilisierung des Wirtschaftskreislaufs insbesondere in Krisenzeiten, wie es Notenbanken und Regierungen während der Corona-Krise erneut gelungen ist, wäre zumindest durch geldpolitische Maßnahmen nicht mehr möglich, wenn eine Kyptowährung wie der Bitcoin die Weltwährung darstellen würde. Vielmehr würde jede Wirtschaftskrise einfach so durchlaufen, Staaten könnten geldpolitisch nicht eingreifen und es käme regelmäßig zu selbstverstärkenden Negativspiralen. Etwas überspitzt formuliert: Ohne Papierwährungen gäbe es kein Kurzarbeitergeld und keine Überbrückungshilfe. Im Gegenteil: Bei steigender globaler Wirtschaftsleistung führt eine konstante Geldmenge zu Deflation. Das fördert nicht gerade das Wirtschaftswachstum, wenngleich das Ausmaß der negativen Effekte unter Ökonomen umstritten ist. Die Gegner dieses sogenannten Fiat-Money-Systems wenden meist ein, dass die Stabilisierungsfunktion der Geldpolitik regelmäßig überzogen und damit missbraucht wird. Ob die einzige Lösung für dieses politökonomische Problem die Wiedereinführung eines (künstlichen) Goldwährungssystems ist, bleibt eine gesellschaftliche Entscheidung. Gegenwärtig sind die politischen Mehrheiten deutlich dagegen.

Clash of Cultures: Privat- gegen Staatswährung

Auf diese Weise spiegeln sich im Bitcoin die großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der Gegenwart wider: Große Teile der Krypto-Gemeinde besitzen Bitcoins vor allem deswegen, weil diese privat organisiert sind. In dieser Denke ist der Staat vollkommen überdimensioniert und schränkt vor allem die Freiheit seiner Bürger ein. Dabei ist es bemerkenswert, dass die Anhänger des Bitcoins solchen Institutionen wie Notenbanken – die immerhin das Geldwesen in den vergangenen Jahrzehnten inflationsstabil verwaltet haben – aufs Schärfste misstrauen, aber auf der anderen Seite ein System vergöttern, von dem sie ebenso so wenig wissen, welche Kräfte es beherrschen und welche Interessen dahinterstecken. 

Es ist, wie so vieles in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft: eine Glaubensfrage. Fakt ist jedoch: Trifft solch eine weltweite Staatsverdrossenheit auf eine feste Anzahl von Bitcoin-Einheiten, dann ist das Ergebnis eine Preisexplosion – die auch noch eine Weile lang weitergehen kann.

Den gesamten Beitrag von Dr. Ulrich Kater in der neuen Ausgabe des Absolut|performance finden Sie hier.